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Reaktion auf den Fall Mollath - Bayerischer Justizminister kündigt Kurswechsel an

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Als der Fall Mollath im Vorfeld der bayerischen Landtagswahl teilweise auch als Versäumnis der Regierungspolitik wahrgenommen wurde, hatten manche gedacht, der Fall werde die CSU Stimmen kosten. Diese Annahme hat sich allerdings nicht bewahrheitet, so dass man befürchten musste, es werde nun alles beim Alten bleiben.

Insofern haben mich Äußerungen des neuen bayerischen Justizministers Bausback durchaus positiv überrascht. In drei Punkten kündigt er in einem Interview mit der Süddeutschen Zeitung  Änderungsbedarf an. Dies ist, wenn man die bisherige Politik in Bayern betrachtet, schon die Ankündigung eines Kurswechsels:

 

1. „Ich möchte gerne, dass im Gesetz klar steht: Nach einer gewissen Zeit, zum Beispiel nach fünfJahren, ist die Unterbringung im Grundsatz nicht mehr verhältnismäßig. Alles, was darüber hinausgeht, sollte nur die Ausnahme sein“.

Eine solche Konkretisierung der §§ 62, 67d StGB wäre durchaus wünschenswert. Eine Änderung des StGB kann Bayern jedoch nicht selbst vornehmen – das StGB ist ein Bundesgesetz. Aber immerhin wäre eine bayerische Gesetzesinitiative im Bund denkbar. Zudem könnte der Minister den bayerischen Staatsanwaltschaften über eine landesweit geltende Richtlinie aufgeben, den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz in ihren Anträgen und Stellungnahmen an die Gerichte entsprechend auszulegen.

 

2. "Die Qualität der Gutachten ist in solchen Verfahren von eminent wichtiger Bedeutung. Ich möchte den Einsatz zertifizierter Gutachter in der Praxis fördern."

Auch diese Forderung geht allgemein in die richtige Richtung. Allerdings lag die Problematik im Fall Mollath nicht an der mangelnden Zertifizierung der Gutachter, sondern eher an den Mängeln in ihren Gutachten und deren unkritische Übernahme durch die Justiz.

 

3. "Zur Unabhängigkeit der Justiz gehört auch die Erkenntnis der eigenen Unvollkommenheit dazu. Jeder macht Fehler. Davon sind auch Juristen nicht ausgeschlossen." Zu einer offenen Gesellschaft gehöre auch eine "Kultur der Kritik", sagte Bausback. "Die Justiz muss das dann auch ertragen."

Wie mehrfach hier im Blog angesprochen, ist dies eigentlich eine Selbstverständlichkeit. Teile der bayerischen Justiz haben im Fall Mollath (und auch in anderen Fällen) leider den Eindruck erzeugt, als unfehlbar gelten zu wollen. Wenn der Minister mit diesem Wort der Fehlerkultur einen positiven Schub gibt, ist das zu begrüßen.

Natürlich sind das zunächst nur Ankündigungen, deren Umsetzung genau beobachtet werden muss. Aber es ist positiv, dass der Fall Mollath überhaupt auf ministerieller Ebene eine solche Wirkung hat. Nach dem Wahlsieg hätte die Politik ja auch einfach zur Tagesordnung übergehen können.

UPDATE 18.11.2013

Zur Kontroverse um den Artikel "Aktengutachten" von Hans-Ludwig Kröber (in: Forensische Psychiatrie Psychologie Kriminologie 2013 Vol. 7 S. 302-303, offizieller Link, der z.B. in den Universitätsbibliotheken freigeschaltet ist); hier die ausführliche Kritik RA Strates.

Allgemein trifft es zu, dass bei derzeitiger Gesetzeslage ohne Exploration erstellte Gutachten gesetzlich zugelassen sind und nach der gesetzlichen Konzeption auch notwendig sein können: Wenn das Gesetz einerseits an verschiedenen Stellen eine sachverständige Begutachtung vorschreibt, andererseits aber die (freiwillige) Mitwirkung des begutachtenden Probanden/Patienten für eine Exploration notwendig ist, dann bleibt möglicherweise in einigen Fällen nur die Begutachtung aufgrund des vorhandenen, meist in Akten gespeicherten, Wissens übrig.

Andererseits sind mir Psychiater bekannt, die das Problem für sich persönlich nicht haben, da sie (glaubhaft) versichern, bislang mit jedem Probanden/Patienten so in Kontakt gekommen zu sein, dass eine Exploration möglich wurde.

Der immer wieder verbreitete Mythos, Herr Mollath sei gar nicht bereit gewesen, sich begutachten zu lassen, trifft offenbar nicht zu. Von Herrn Kröber hätte ich mir gewünscht, dass er aus seiner Sicht (vielleicht sogar selbstkritisch) darstellt, warum es ihm nicht gelungen ist, Herrn Mollath zu explorieren. Herr Mollath hat dafür - schon lange vor seiner Freilassung - ganz bestimmte Gründe angeführt. Herr Kröber nimmt nun zu diesen Gründe nicht Stellung, sondern nimmt nur auf ein allg. "schlechtes Gefühl" des Herrn Mollath Bezug. Dass es Informationen dazu gibt, worauf dieses schlechte Gefühl Herrn Mollaths (seiner eigenen Äußerung nach) basierte, verschweigt Herr Kröber: Es geht darum, dass Herr  Kröber in einem Aufsatz vor einiger Zeit publiziert hatte, es sei wichtig, sich beim Probanden vorher anzumelden, diese Anmeldung aber im Fall Mollath unterblieben ist.

Ebenso hätte ich mir gewünscht, dass Herr Kröber etwas zur entscheidenden Problematik von Aktengutachten äußert. In jeder wissenschaftlichen Aktenuntersuchung (dasselbe gilt auch für die Auswertung von Quellen in der Geschichtswissenschaft)  müssen die Akteninhalte quellen"kritisch" behandelt werden. Weder in seinem hier diskutierten Aufsatz noch in seiner grundlegenden Darstellung  im von ihm mitherausgegebenen fünfbändigen "Handbuch der Forensichen Psychiatrie" (vgl. dort die Artikel "Kriminalprognostische Begutachtung", und "Praxis der kriminalprognostischen Begutachtung: handwerkliche Mindeststsandards und kasuistische Illustration" in  Band 3, S. 69 ff und S. 173 ff.) wird erläutert, dass derjenige, der aus Akten Informationen über vergangene Tatsachen entnehmen will, die Zwecke, Gründe und Herstellungsmodi der in den Akten enthaltenen Berichte zu berücksichtigen hat. Wenn sich etwa ergibt, dass die Informationen im wesentlichen auf den Angaben einer einzigen (oder wenigen gleich motivierten) Person/en beruhen, dann ist der Wahrheitsgehalt deutlich vorsichtiger zu beurteilen als wenn sich aus verschiedenen Perspektiven die im Kern gleiche Information ergibt. Quellenkritische Beispiele bildet Herr Kröber nur insofern, als möglicherweise neben den in den Akten geschilderten Taten/Handlungsweisen noch weitere belastende Informationen existierten, die aus juristischen Gründen ausgeschieden worden seien. Den umgekehrten Fall einer sich in den Akten multiplizierenden Falschangabe sieht er offenbar als unbeachtlich an, obwohl dies oftmals beschrieben  eine der wichtigsten Ursachen von Fehlurteilen ist.

Dass gerade Herr Kröber im Fall Mollath die wesentlichen Akteninhalte/Sachinformationen gerade nicht realitätsgetreu wiedergibt, davon zeugt sein kurzer Blitzlicht-Aufsatz ebenso wie schon sein Interview auf telepolis im Sommer:

1. ("Aktengutachten", S. 303):

"Tatsächlich war der Frau 2003 prompt gekündigt worden, was die Richtigkeit seiner Vorwürfe bestätigte."

Herr Kröber verschweigt, dass die Tatsache der Kündigung erst acht Jahre später bekannt wurde, also im Verfahren nicht bekannt war und auch im Urteil keine Rolle spielen konnte. Der Vors. Richter hatte den ganzen Komplex aus seiner Beweisaufnahme ausgeschlossen (ohne dessen Relevanz zumindest für die Glaubhaftigkeit der Ehefrau zu beachten) und deshalb wurde die Belastungszeugin auch nicht danach befragt.

"Im Urteil, das 2006 erging, steht ausdrücklich, dass diese Vorwürfe wohl stimmen."

Dies ist eindeutig falsch, siehe Urteilslektüre. Wäre 2006 schon bekannt gewesen, dass die vorwürfe stimmen, wäre es mindestens erforderlich gewesen, diese Tatsache in die Prüfung der Zeugenaussage der Frau M. einfließen zu lassen.

"Sein Wahn bestehe nicht darin, sondern in der (auch in Schrftsätzen dokumentierten) Überzeugung, dass es eine große Verschwörung gegen ihn gebe, in die seine Frau und ihre Freunde, diverse Psychiater, v. a. aber Rüstungsfirmen, Banken, Behörden und die bayrische Staatsregierung eng verwoben seien und die auf einen Bürgerkrieg hnarbeiten, weswegen er als Märtyrer aus dem Rechtsstaat austrete."

Durch den Konjunktiv deutet Herr Kröber an, es handele sich um Feststellungen aus dem Urteil. Dies ist indes nicht der Fall. Es handelt sich vielmehr um die Quintessenz dessen, was Herr Kröber der Aktenlektüre entnommen zu haben glaubt. Die Zusammenstellung  ist grob verzerrend und missachtet jegliche wahrhaftige Quellenstudie und Wiedergabe.

2. (Telepolis-Interview, Juli 2013), vgl. dazu schon hier (Update 04.07.2013).

"Telepolis: Bei so einer Beziehungstat, die wir in kleinerem Bereich ja auch aus den meisten Familien kennen, ist es doch meist so, dass mit der Trennung auch das Tatmotiv verschwindet. Nur in seltenen Ausnahmefällen verfolgt man seinen Partner dann noch weiter.

Kröber: Bei Mollath scheint genau das einige Jahre der Fall gewesen zu sein, wenn man das Urteil liest. Ich kenne durchaus Beispiele, wo so etwas bis zum Mord passiert. Zur Bewusstlosigkeit würgen ist in einer anderen Liga. Da waren die ja schon getrennt. Die Frau ist nach der Trennung noch in Mollaths Wohnung gekommen, um ihre Sachen zu holen. Dabei ist es passiert, wenn es so stimmt. Die Justiz hat die Geschichte eher verläppert. Da gab es dann keine Schreibmaschine. Das Ganze ging erst wieder voran durch die Reifenstecherei, das war aber bereits mehr als vier Jahre nach der Trennung. Da erst hat man gesagt: Er ist weiter gefährlich. Aber ich gebe Ihnen Recht: Sein Wahn bezog sich in diesen letzten Jahren schon lange nicht mehr auf seine Frau, sondern auf die Nürnberger Firma Diehl und die große Verschwörung, die er dort sah."

Herr Kröber hatte kurz darauf  eine korrigierende Version in das Interview einfügen lassen:

"Das war im August 2001, vor der Trennung. Die Frau ist nach der Trennung Ende Mai 2002 nochmal in Mollaths Wohnung gekommen, um ihre Sachen zu holen. Dabei gab es einen laut Urteil einen erneuten Übergriff, er hat sie festgehalten und am Verlassen der Wohnung gehindert. Die Justiz hat diese Vorfälle in der Akutphase der Trennung eher verläppert. Offenbar bestand kein großes Verfolgungsinteresse. Das Ganze ging erst wieder voran durch die [Mollath vorgeworfene] Reifenstecherei im Januar 2005, drei Jahre nach der Trennung."

Herr Kröber erweckte schon damals den unzutreffenden Eindruck, als habe Herr Mollath einen Wahn gegen die Rüstungsfirma Diehl entwickelt, und sich "schon lange nicht mehr auf seine Frau bezogen". Auch dies ist unrichtig. Die bei Herrn Mollath als ebenfalls wahnhaft angesehen angeblichen Reifenstechereien bezogen sich nicht auf eine Rüstungsfirma oder eine große Verschwörung, sondern angeblich auf Personen, die seiner Frau persönlich nahestanden bzw. in das Scheidungsverfahren involviert waren.

Mein Fazit:

Herr Kröber beharrt kontrafaktisch auf seinem einmal aus - möglicherweise oberflächlicher - Aktenlektüre gewonnenen Eindruck vom Probanden Mollath.

Noch einmal: Ich selbst bin kein psychiatrischer Gutachter und kann die gesundheitliche Lage Herrn Mollaths von vor 12 Jahren nicht beurteilen - insofern will ich mich keineswegs zum "Volksexperten" küren. Aber ich traue mir zu, die Qualität des Gutachtens von Herrn Kröber zu beurteilen und habe angesichts der von ihm selbst geforderten Qualitätsstandards erhebliche Bedenken. Seine Klage über eine "Volksexpertise, die sich allein auf Internet- und Zeitungslektüre stützt und weder Exploration noch Aktenkenntnis braucht", fällt m. E. auf ihn selbst zurück, da auch er seiner Äußerung nicht eine objektive Wiedergabe von Akteninhalten zugrundelegt.

 


Bremer Brechmittelprozess in Bremen gemäß § 153a StPO eingestellt

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Der nach zwei vom BGH aufgehobenen Freisprüchen zum dritten Mal durchgeführte Prozess gegen einen Polizeiarzt (hier mein letzter Blog-Beitrag), unter dessen Einwirkung ein junger Mann verstorben war, endete nun mit einer Einstellung nach § 153a StPO. Der Arzt soll nun 20.000 Euro an die Mutter des Opfers zahlen.

Laut der ungewöhnlich ausführlichen Pressemitteilung des LG Bremen sprach die bisherige Beweislage (nur) für eine fahrlässige Tötung und vorsätzliche Körperverletzung, nicht aber für die vom BGH in seiner letzten Aufhebungsentscheidung angeführten Körperverletzung mit Todesfolge (§ 227 StGB).

Für die jetzige Einstellung, der auch die Nebenklage zugestimmt hat, sprach auch die Verfassung des Angeklagten, der aufgrund des Verfahrens in eine psychische Krise geraten war, so dass die Fortführung der Hauptverhandlung erst ab April 2014 möglich gewesen wäre.

Für die Abweichung von der grds. bindenden Ansicht des BGH in seienr Aufhebungsentscheidung macht das Schwurgericht Folgendes geltend:

"Der Bundesgerichtshof hat in seinem Urteil vom 20.06.2012 zwar ausgeführt: „Entgegen der Auffassung der Schwurgerichtskammer ergeben die durch sie getroffenen Feststellungen ohne Weiteres die Voraussetzungen einer Körperverletzung mit Todesfolge.“ Zu beachten ist aber,
dass sich die Bindungswirkung dieser BGH-Entscheidung gemäß § 358 StPO allein auf die rechtliche Beurteilung des festgestellten Sachverhalts bezieht. Nur diesen Sachverhalt konnte der BGH durch die Feststellungen im schriftlichen Urteil des Schwurgerichts II vom 14.06.2011 für seine rechtliche Bewertung berücksichtigen. Der BGH vernimmt nicht selbst Zeugen oder Sachverständige. Wird also in einer neuen Hauptverhandlung am Ende der identische Sachverhalt festgestellt, so hat dessen rechtliche Bewertung durch das Tatgericht unter Berücksichtigung der bundesgerichtlichen Entscheidung zu erfolgen."

Bayerische Staatsanwälte sollen jahrelang intensiv ermittelt haben, nur um ein "Leck" im LKA aufzuklären?

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Die Süddeutsche und die Abendzeitung berichteten heute über einen Fall, der schon vergangene Woche über den Regionalblog Regensburg Digital  Aufmerksamkeit erregt hat:

Es geht um den Passauer Journalisten Hubert Denk und eine undichte Behördenstelle.

Denk hatte Anfang 2010 im Passauer Bürgerblick u.a. über eine Hauptverhandlung berichtet, die sich aus den Umkreis der Ermittlungen gegen den Labor-Unternehmer Schottdorf ergeben hatte. Schottdorf wird vorgeworfen, mit einem Netzwerk von medizinischen Labors die Versichertengemeinschaft um große Summen (angeblich 78 Millionen Euro) geschädigt zu haben, es geht um Abrechnungsbetrug. Allerdings ist die Rechts- und Tatsachenlage alles andere als einfach zu beurteilen. Zu früheren Vorwürfen gegen Schottdorf vgl. diesen Spiegel-Artikel. Im Rahmen dieser Ermittlungen wurde in den Nuller-Jahren beim LKA eine "SoKo Labor" eingerichtet, die bis 2008 tätig war. Seit Februar 2012, also seit 1,5 Jahren liegt in Augsburg offenbar eine Anklage gegen Schottdorf vor (Bericht: Augsburger Allgemeine), eröffnet wurde bisher nicht.

Im Zuge der genannten Ermittlungen stießen die Ermittler auch auf eine Parteispende Schottdorfs aus dem Jahr 2005. Schottdorf hatte der CSU über ihren damaligen Ministerpräsidenten Stoiber 20.000 Euro (woanders heißt es 25.000 Euro) gespendet.

Kopien der Spendenbelege und eines Briefs an Stoiber gelangten auf bisher unbekanntem Weg an Hubert Denk, der darüber  berichtete. Die Angaben in seinem Artikel (Print) entsprachen zwar der Wahrheit. Dennoch versuchte Schottdorf mit Hilfe seiner Rechtsanwälte den Artikel Denks zu unterdrücken, angeblich erzeuge er in seiner Gesamtheit einen falschen Eindruck. Vor dem OLG Köln fanden Schottdorf und RA Gauweiler mit dieser „Eindrucksthese“ aber kein Gehör, sie zogen die Klage zurück.

Die Grünen fragten 2010 im Landtag nach der Spende und der schrittweisen Reduktion der Soko Labor. Das Justizministerium antwortete relativ ausführlich unter Bezugnahme auf einige der Ermittlungsverfahren gegen Schottdorf.

Auch eine weitere Anfrage, diesmal  von den Freien Wählern,  wurde 2011 vom Justizministerium ausführlich beantwortet.

Liest man diese Antworten, könnte man annehmen, damit strebe der Fall nun auf rechtsstaatlichem  Wege seiner Erledigung entgegen: Ob Schottdorf, der wegen ähnlicher Vorwürfe  auch schon einmal freigesprochen wurde, sich tatsächlich strafbar gemacht hat, soll das LG Augsburg demnächst klären. Dass Journalisten im Staat des Grundgesetzes und der Bayerischen Verfassung auch kritisch berichten dürfen, steht ebenfalls völlig außer Frage.  Auch wurden die Hintergründe der Ermittlungen zu der Spende von der Pressesprecherin der StA München damals ja freimütig bestätigt (Quelle):

"Die Pressesprecherin der Staatsanwaltschaft München I, Oberstaatsanwältin Barbara Stockinger, bestätigte gegenüber Bürgerblick, dass Anfang Juli 2007 in dem Verfahren „Schottdorf“ Unterlagen über eine Parteispende zur CSU über 25.000 Euro aufgetaucht seien. Der Fall sei der politischen Abteilung übergeben, überprüft, jedoch keine strafbare Handlung erkannt worden: „Die Spende wurde ordnungsgemäß angemeldet, verbucht und veröffentlicht“. Das dem Scheck beigefügte Begleitschreiben an den Ministerpräsidenten habe nur der „Hoffnung" Ausdruck verliehen, "dass alles gut wird.“ Der ehmalige SOKO-Leiter des LKA hatte im Zeugenstand den Inhalt als „Erwartungshaltung“ interpretiert."

 

Offenbar ist die Staatsanwaltschaft aber anderer Auffassung. Jedenfalls nach Auskunft des Verteidigers von Denk wird seit drei Jahren intensiv ermittelt, wer den Spendenbeleg an Hubert Denk geleitet hat. Nach Angaben seines Anwalts sollen schon 35 Polizeibeamte, Richter und ein früherer Staatsanwalt vernommen worden sein, offenbar um dem „Leck“ auf die Spur zu kommen (Quelle). Sollte der Aufwand zum Auffinden eines Lecks tatsächlich so groß gewesen sein, wie Regensburg Digital mit Berufung auf den Verteidiger Denks berichtet, und sollte es wirklich nur um diesen einen "Verrat" gehen, wäre das in der Tat  eine ziemlich überzogene Ermittlungstätigkeit und damit eine Ressourcenverschwendung, der der neue Justizminister nachgehen müsste.

Angeblich soll die Nürnberger Staatsanwaltschaft auch gegen Denk wegen Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes ermitteln (§ 201 StGB). Dieser Tatbestand setzt allerdings ein "Abhören" oder ein unbefugtes "Aufnehmen" des nicht öffentlich gesprochenen Wortes voraus. Tatsächliche Anhaltspunkte dafür, dass der Journalist seine Information durch eine solche Aktivität erlangt hat und nicht etwa durch ein "Leck", werden allerdings nicht genannt. Auch wäre zu beachten, ob nicht "überragende öffentlcihe Interessen" entgegenstehen. Da die Tatsache der Spende und die Umstände der Ermittlungen schon vor dem Artikel Denks in öffentlicher Hauptverhandlung erörtert worden waren, scheint mir auch fraglich, ob es sich inhaltlich überhaupt um ein schützenswertes Geheimnis handelte (vgl. Fischer, Rn.4 zu § 203 StGB).
(den vorstehenden Absatz habe ich nach dem Diskussionsbeitrag von "Gastmann", s.u., korrigiert)

Auch eine „Anstiftung zur Verletzung von Dienstgeheimnissen“ §§ 353 b, 26  StGB, wie der andere Vorwurf angeblich lautet, erschiene mir nicht unmittelbar einleuchtend. Welche „wichtigen öffentlichen Interessen“ sollen denn gefährdet worden sein durch Bekanntwerden des Spendenbelegs – nachdem die Tatsache der Spende ohnehin schon in einer öffentlichen Hauptverhandlung Thema war?  Eine Berichterstattung über angebliche "Skandale" oder Missstände reichen in einer demokratischen Gesellschaft nicht aus, um ein gewichtiges öffentliches Interesse zu gefährden (so Fischer Rn. 13b zu § 353 b StGB). Zudem ist bei der Frage der Teilnahme an § 353 b StGB durch Journalisten Art. 5 GG zu beachten, in dem die Pressefreiheit und damit auch der Informantenschutz garantiert ist (vgl. dazu BVerfGE 117, 244: Fall CICERO) .

Nun, bisher stehen noch Reaktionen der Staatsanwaltschaften bzw. des Ministeriums auf die Meldungen aus. Ich bin gespannt, ob die Vorwürfe, die der Anwalt Hubert Denks erhebt, tatsächlich zutreffen.

Das GroKo-Strafrecht unter der Lupe

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Der Koalitionsvertrag wurde letzte Nacht abschließend verhandelt. Neben den  allseits schon bekannten „Knackpunkten“ (Maut etc.) befinden sich darin auch einige weniger bekannte Pläne zum Strafrecht, die ich hier einmal zur Diskussion stellen möchte. Die Zitate stammen aus dem heute verbreiteten Entwurf , ab S. 144. die Überschriften stammen von mir, ebenso die kurzen Anmerkungen.

Zum Fahrverbot als Hauptstrafe wird schon hier diskutiert.

 

1. Strafzumessung bei fremdenfeindlichen Gewalttaten

„Bei Polizei und Justiz stärken wir die interkulturelle Kompetenz und steigern die personelle Vielfalt. Die Möglichkeiten für Opferbetreuung und -beratung stärken wir. Weil Opfer rassistischer, fremdenfeindlicher oder sonstiger menschenverachtender Straftaten den besonderen Schutz des Staates verdienen, wollen wir sicherstellen, dass entsprechende Tatmotive bei der konkreten Strafzumessung ausdrücklich berücksichtigt werden.“

 

Während das erste Anliegen natürlich zu begrüßen ist, steht hinter dem zweiten Vorschlag die allerdings empirisch kaum belegbare Idee, dass eine  höhere Strafdrohung bzw. ein praktisch schärfere Strafzumessung potentielle Opfer vor der Begehung rassistischer / fremdenfeindlicher Taten „schützen“ kann. Strafrechtstechnisch könnte man an einen besonders schweren Fall für die §§ 223, 224 StGB denken, ausgestaltet mit dem Regelbeispiel „fremdenfeindliches Motiv“ oder weiter gefasst (analog dem Mordmerkmal) „aus niedrigen Beweggründe“. Ein straferhöhendes Motiv ist allerdings – außerhalb des § 211 StGB - bislang dem StGB eher fremd.

 

2. Unternehmensstrafrecht und Vermögensabschöpfung

„Mit Blick auf strafbares Verhalten im Unternehmensbereich bauen wir das Ordnungswidrigkeitenrecht aus. Wir brauchen konkrete und nachvollziehbare Zumessungsregeln für Unternehmensbußen. Wir prüfen ein Unternehmensstrafrecht für multinationale Konzerne. Das Recht der Vermögensabschöpfung werden wir vereinfachen, die vorläufige Sicherstellung von Vermögenswerten erleichtern und eine nachträgliche Vermögensabschöpfung ermöglichen. Wir regeln, dass bei Vermögen unklarer Herkunft verfassungskonform eine Beweislastumkehr gilt, so dass der legale Erwerb der Vermögenswerte nachgewiesen werden muss."

Die Einführung unternehmensstrafrechtlicher Elemente  ist seit Langem in der Diskussion, die Vermögensstrafe war in § 43a StGB geregelt, wurde dann aber 2002 vom BVerfG für nichtig erklärt. Nun soll also ein neuer Versuch unternommen werden, mit rechtsstaatlichen Mitteln Gewinne aus strafbarem Verhalten abzuschöpfen. 

 

3. Korruption im Gesundheitswesen

"Bestechung und Bestechlichkeit im Gesundheitswesen wollen wir unter Strafe stellen."

Hier geht es um die auch hier im Beck-Blog schon debattierte Frage der Bestechlichkeit im geschäftlichen Verkehr. Nach dem bisherigen Wortlaut des § 299 StGB passt dieser Tatbestand nicht auf einschlägige Verhaltensweisen im Gesundheitssystem. Eine entsprechende Änderung ist zu begrüßen.

 

4. Kinderpornographie im Internet

"Zur besseren Bekämpfung von Kinderpornographie im Internet werden wir im Strafrecht den veralteten Schriftenbegriff zu einem modernen Medienbegriff erweitern."

An einem „veralteten Schriftenbegriff“ (Datenspeicher sind seit 1997 den Schriften gleichgesetzt, siehe § 11 Abs.3 StGB) scheitert m.E. bisher die Bekämpfung der Kinderpornographie nicht. Gemeint ist wohl, dass man nicht nur Datenspeicher, sondern auch "Dateien" in § 11 Abs.3 StGB nennen will, um einen Meinungsstreit, der sich insbesondere am Besitz von (nur) im flüchtigen Arbeitsspeicher vorhandenen Bildern entzündet hat, gesetzlich zu entscheiden.

 

5. Sexualstrafrecht und Massengentest

"Wir schließen zudem inakzeptable Schutzlücken und beseitigen Wertungswidersprüche im Sexualstrafrecht. Zur Aufklärung von Sexual- und Gewaltverbrechen sollen bei Massen-Gentests auch sogenannte Beinahetreffer verwertet werden können, wenn die Teilnehmer vorab über die Verwertbarkeit zulasten von Verwandten belehrt worden sind."

Welche Wertungswidersprüche gemeint sind, bleibt hier offen, aber solche zu beseitigen ist ja erst einmal nicht falsch - politisch umstritten wird es dann sein, in welche Richtung die Widerspürche aufgelöst werden.
Beim Massengentest soll eine vermeintliche oder echte „Gesetzeslücke“ geschlossen werden, die der 3. Senat des BGH aufgedeckt hat: Beinahetreffer mit Hinweisen auf die Täterschaft Verwandter des Freiwilligen, sind bisher nicht verwertbar (siehe hier). Eine entsprechende Belehrung würde dies ändern, allerdings möglicherweise auch die Teilnahmebereitschaft beeinflussen. 

 

6. Nachträgliche Sicherungsverw..., äh: Therapieunterbringung

"Zum Schutz der Bevölkerung vor höchstgefährlichen, psychisch gestörten Gewalt- und Sexualstraftätern, deren besondere Gefährlichkeit sich erst während der Strafhaft herausstellt, schaffen wir die Möglichkeit der nachträglichen Therapieunterbringung. Die längerfristige Observation von entlassenen Sicherungsverwahrten stellen wir auf eine gesetzliche Grundlage."

Das ist tatsächlich die Neuauflage der nachträglichen Sicherungsverwahrung. Überraschend kommt dies nicht. Es soll wohl nach Einführung der Therapieunterbringung samt Bau neuer Anstalten bzw. Ausbau entspr. Abteilungen, auch die alte Rechtslage wiederhergestellt werden, die ja die nachträgliche Anordnung der Sicherungsverwahrung (auch bei Jugendlichen/Heranwachsenden) ermöglichte. Bei einem sich vom Strafvollzug deutlich abhebenden Vollzug (unter neuem Namen) sollen nach Vorstellung der GroKo die Einwände des EGMR, es handele sich dann um eine rückwirkende Strafverlängerung ohne Grundlage im Urteil, nicht mehr zutreffen. Gegen eine  nachträgliche Anordnung sprechen aber nach wie vor die besseren Argumente.

 

7. Stalking

"Beim Stalking stehen vielen Strafanzeigen auffällig wenige Verurteilungen gegenüber. Im Interesse der Opfer werden wir daher die tatbestandlichen Hürden für eine Verurteilung senken. Zudem werden wir Maßnahmen zur Kontrolle der Einhaltung von Kontakt- bzw. Näherungsverboten erarbeiten."

Dieser Vereinbarung scheint mir eine fragwürdige kriminologische These zugrunde zu liegen, nämlich die, dass es für die Opfer unbefriedigend oder gar schädlich sei, wenn ihre Strafanzeigen nicht zu einer Verurteilung führen. Tatsächlich ist es aber anerkanntermaßen so, dass die Einführung des § 238 StGB polizeiliches und staatsanwaltliches Tätigwerden ermöglicht hat, welches in vielen Fällen auch dazu führt, dass der Stalker/die Stalkerin mit seinem/ihrem Verhalten aufhört. Das ist meist das Hauptinteresse der Opfer von Stalking. Der Umbau des Straftatbestands zu einem Gefährdungsdelikt würde möglicherweise sogar nach hinten losgehen.

 

8. Jugendstrafrecht

"Durch ein frühzeitiges gemeinsames Vorgehen der Strafverfolgungsbehörden und der Kinder- und Jugendhilfe wollen wir kriminalitätsgefährdete Kinder und Jugendliche vor einem Abgleiten in kriminelle Karrieren bewahren. Wird ein junger Mensch straffällig, soll die Strafe der Tat auf dem Fuße folgen. Den Gedanken der Wiedergutmachung gegenüber Kriminalitätsopfern werden wir im Jugendstrafrecht stärken."

 

Das sind wenig konkrete absichtserklärungen, die in jeder Koalitionsvereinbarung stehen könnten. Wenn damit aber eine Tendenz zur (abermaligen) Verschärfung des Jugendstrafrechts angedeutet wird, ist dem entgegenzutreten. Und wer unter Beachtung des Rechtsstaats  „beschleunigen“ will, der muss in der Justiz Stellen schaffen, und das kostet Geld.

 

9. Unterbringung nach § 63 StGB und Verhältnismäßigkeitsgrundsatz

"Wir reformieren das Recht der strafrechtlichen Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern, indem wir insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stärker zur Wirkung verhelfen. Hierzu setzen wir eine Bund-Länder-Arbeitsgruppe ein."

Hier findet sich also der Fall Mollath wieder. Eine Reform scheint dringend notwendig. Aber der Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wird  bereits jetzt direkt VOR § 63 StGB gesetzlich betont. Eine weitere Konkretisierung (Fristenregelung, siehe hier) ist sicherlich zu begrüßen. Aber als einzige Reaktion auf Fälle wie „Mollath“ ist das zu wenig!

 

10. Adhäsionsverfahren

"Um die Opfer von Straftaten dabei zu unterstützen, ihre zivilrechtlichen Ersatzansprüche gegen den Täter durchzusetzen, fördern wir die Durchsetzung von Schadensersatzansprüchen in Strafverfahren (Adhäsionsverfahren) und erleichtern es den Opfern, sich im Zivilprozess auf bindende Feststellungen eines Strafgerichts zu berufen."

Das angesprochene Adhäsionsverfahren ist längst gesetzlich verankert. Aber es will trotz intensiver gesetzlicher Bemühungen (z.B. Hinweispflichten) einfach nicht gelingen, die Strafgerichte davon zu überzeugen, nun auch regelmäßig zivilrechtliche Fragen zu klären. Auch die Rechtsanwälte spielen nicht richtig mit. Das Anliegen des Gesetzgebers, hier noch einmal betont, ist ehrenwert, aber offenbar nicht praxistauglich. Was in der Theorie sinnvoll klingt, ist es nicht immer in der Praxis. Ich denke, Strafrichter wollen weder ihre Akten noch ihre Verhandlungen mit zivilrechtlichen Fragen belasten (etwa zur Höhe des Schadens), was potentiell ja auch eine schnelle(re) Entscheidung  hindert. Die Bezugnahme auf Feststellungen eines Strafgerichts mag auch gut klingen - jedoch kann auch hierdurch die (effektive) Verfahrensweise durch Strafbefehl gestört werden.

Die Justiz in der Bewertung der Bevölkerung - Studie der EU

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Vor Kurzem wurden Ergebnisse einer Meinungsumfrage in allen 28 EU-Staaten veröffentlicht ("Flash Eurobarometer 385 - Justice in the EU") - es ging um die Einstellung der Befragten zur Justiz in ihrem eigenen Land.

Der Gesamtreport hat fast 150 Seiten, es gibt aber für den eiligeren Leser auch ein Summary mit 23 Seiten und es gibt Einzelergebnisse zu allen 28 Staaten. Nun ist interessant, wie die deutsche Justiz - mich interessiert natürlich v.a. die Strafjustiz - in der Sicht der 1000 repräsentativ Befragten abschneidet, auch im Vergleich zu anderen Staaten und zum EU-Durchschnitt.

Die Umfrage fand Ende Oktober/Anfang November 2013 statt.

Das Vertrauen in die nationale Justiz insgesamt:

EU-Durchschnitt: 53 % vertrauen, 43 % vertrauen nicht

Deutschland: 77 % vertrauen, 21 % vertrauen nicht

Deutschland liegt in der Kategorie Vertrauen in die nationale Justiz damit an 4. Stelle (hinter Finnland, Dänemark und Österreich). Alles in allem kann die deutsche Justiz also vergleichsweise zufrieden sein mit der Bewertung durch die Bevölkerung, auch wenn mehr als ein Fünftel Misstrauen auch kein Ruhmesblatt ist.

Schaut man auf die Bewertung speziell der Strafjustiz, dann bestätigt sich das allgemein überdurchschnittliche (z.B. 74 % bei Unabhängigkeit) bis mittelmäßige Bild (z.B. 53 % bei Fairness) in einigen Kategorien. Allerdings wird die deutsche Strafjustiz von den eigenen Bürgern unterdurchschnittlich bewertet in der Kategorie Prozessdauer: Hier sind nur 17 % zufrieden, der EU-Durchschnitt lag hier allerdings auch nur bei 20 %.

 

 

 

Die neue Hauptverhandlung gegen Gustl Mollath - Ausblicke

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Wie heute der Presse zu entnehmen war, konkretisieren sich langsam die Vorbereitungen für die Hauptverhandlung im Fall Mollath, die wohl im ersten Quartal 2014 am LG Regensburg anberaumt werden wird.

Ich hatte vor einiger Zeit in einem Interview mit Christian Rath (taz) schon ein paar Überlegungen dazu angestellt und will sie hier noch einmal wiederholen und ergänzen:

"CR: „Was wird genau verhandelt?

HEM: Es müssen vier Fragen beantwortet werden. Hat Herr Mollath seine Frau geschlagen und die Reifen von vermeintlichen Widersachern zerstochen? Wenn ja, litt er dabei unter dem Wahn, dass seine Frau und viele andere sich gegen ihn verschworen haben, um Schwarzgeldgeschäfte zu vertuschen? Wenn ja, war dieser Wahn ursächlich für die Taten? Wenn ja, besteht eine Gefahr für die Allgemeinheit, falls Mollath in Freiheit bleibt.

CR: Könnte es sein, dass Mollath am Ende erneut weggesperrt wird?

HEM: Ich glaube, er muss sich wenig Sorgen machen. Eine Gefängnisstrafe ist prinzipiell ausgeschlossen. Weil Herr Mollath im ersten Verfahren wegen möglicher Schuldunfähigkeit freigesprochen wurde, darf er in der Wiederaufnahme nicht schlechter wegkommen.

Und eine erneute Unterbringung in der Psychiatrie ist nur möglich, wenn alle vier Fragen mit ja beantwortet werden. Das halte ich angesichts der dünnen Beweislage, der lange vergangenen Zeit und des derzeit sehr besonnenen Auftretens von Herrn Mollath für äußerst unwahrscheinlich – zumal es inzwischen auch unverhältnismäßig wäre.“

Im Mittelpunkt der heutigen Berichterstattung stand die Ankündigung, dass zur Beurteilung der Schuldfähigkeit Gustl Mollaths zum Zeitpunkt der vorgeworfenen Straftaten mit Prof. Nedopil ein neuer psychiatrischer Gutachter (mit ausgezeichnetem Ruf) beauftragt werde.

Dies hat insofern Aufsehen erregt, als die Aufklärung der Schuldfähigkeit dann entbehrlich ist, wenn schon die rechtswidrige Verwirklichung der angeklagten Straftatbestände (gefährliche Körperverletzung, Sachbeschädigung) nicht nachgewiesen werden kann.

Allerdings entsprechen Ermittlungen zur Schuldfähigkeit der gängigen Übung, dass man zu einer Hauptverhandlung sämtliche Voraussetzungen der Schuldstrafe (oder aber deren Verneinung) gleichzeitig aufklärt. Im deutschen Strafprozess ist eine mehrstufige Aufklärung mit dazwischen liegenden Unterbrechungen nicht vorgesehen, d.h. alle für Verurteilung oder Freispruch erheblichen Ermittlungen werden in einer möglichst unterbrechungsfreien Hauptverhandlung zusammengeführt. Deshalb werden ja auch häufig Zeugen geladen, die dann nicht mehr notwendig sind, weil die Hauptverhandlung einen unvorhergesehenen Verlauf genommen hat. So kann durchaus auch ein Sachverständiger überflüssig werden, wenn sich im Verfahren ergibt, dass sich schon die Straftatbegehung nicht nachweisen lässt.

Ich halte es für fraglich, ob sich die vorgeworfenen Taten überhaupt nachweisen lassen. Aber wenn jetzt eine neue psychiatrische Begutachtung geplant ist, bedeutet dies zunächst nur, dass das LG Regensburg den Prozess grundsätzlich genauso gestalten will wie andere Prozesse, in denen es Anhaltspunkte für eine die Schuldfähigkeit tangierende psychische Erkrankung des Angeklagten gibt.

Da die Begehungszeitpunkte der vorgeworfenen Taten im Fall Mollath mittlerweile neun bzw. über zwölf Jahre zurückliegen, wird es – vorsichtig ausgedrückt – kein Gutachter leicht haben, den Zustand zur Tatzeitzweifelsfrei zu beurteilen. Ich glaube fast, dass dies unmöglich ist, ganz unabhängig von einer gegenwärtigen Diagnose.

Was für ein nichtjuristisches Publikum vielleicht schwierig ist, ist die logisch zutreffende, aber faktisch gegenläufige Anwendung von in dubio pro reo  bei den §§ 63, 20, 21 StGB, wenn Zweifel verbleiben: Ein Angeklagter hat im Rahmen des § 20 StGB ein (unverzichtbares) Recht darauf, dass Zweifel an seiner Schuldfähigkeit zur Tatzeit zu seinen Gunsten berücksichtigt werden. Wenn also nicht ausgeschlossen werden kann, dass der Angeklagte zur Tatzeit schuldunfähig war, dann ist er mangels Schuld freizusprechen. Für eine belastende Anordnung der Unterbringung nach § 63 StGB muss aber wiederum zu seinen Gunsten im Zweifel davon ausgegangen werden, dass die Straftaten nicht infolge dieses Zustands begangen wurden. Es reicht hier nicht (anders als in § 20 StGB), dass die Voraussetzungen der Unterbringung lediglich nicht auszuschließen sind.

Beide Fragen (§ 20 und § 63) sind deshalb voneinander getrennt zu erörtern und zu beurteilen.

Ganz unabhängig vom konkreten Fall ist generell anzumerken: Je größer der zeitliche Abstand zwischen Begutachtung und vorgeworfener Straftat ist, desto eher werden hinsichtlich der Tatzeitschuldfähigkeit Zweifel bestehen, die dann in § 20 StGB und § 63 StGB eben gegenläufig zugunsten eines Angeklagten wirken.

Falls Herr Mollath sich nicht explorieren lässt, wozu er auch nicht verpflichtet ist (einen Ratschlag in der einen wie der anderen Richtung halte ich an dieser Stelle für unangemessen), müsste wiederum eine Beurteilung auf "Aktengrundlage" erfolgen. Dies ist rechtlich zulässig, aber wirft natürlich die Frage auf, welche Aktenbestandteile dem Gutachter zur Verfügung gestellt werden und wie er diese (was in früheren Gutachten sträflich vernachlässigt wurde) auch kritisch würdigt.

Im ersten Mollath-Gutachten ist die Tatzeitschuldunfähigkeit und der symptomatische Zusammenhang für § 63 StGB kaum schlüssig begründet worden. Gutachter und Gericht haben weitgehend spekulativ angenommen, Herr Mollath, den sie zum Urteilszeitpunkt für psychisch krank hielten, sei mit Gewissheit auch schon zur mehrere Jahre zurückliegenden Tatzeit schuldunfähig bzw. zumindest vermindert schuldunfähig gewesen und die Taten hätten auf seiner Erkrankung beruht.  Dieser symptomatische Zusammenhang zwischen Erkrankung und Tat wird vom Gesetz vorausgesetzt, damit „die Anlasstat nicht in sachfremder Weise zum bloßen Auslöser für die Unterbringung wegen einer psychischen Störung werden kann, die strafrechtlich nicht relevant geworden ist.“ (Zitat van Gemmeren in MüKo StGB Rn. 56 zu § 63). Im Verstoß gegen diesen gesetzlich verankerten Grundsatz lag auch ein entscheidender Fehler im Fall Mollath.

Ich gehe davon aus, dass unter dem kritischen Blick der Öffentlichkeit ein solcher Fehler im neuen Verfahren ausgeschlossen ist.

Update 12.12.2013abends: Nach Bericht des BR hat sich Herr Mollath bereits ablehnend zu einer Exploration durch den psychiatrischen Sachverständigen geäußert.

Update 14.12.2013: Wie jetzt RA Strate ganz zutreffend erklärt, ist die Heranziehung eines Sachverständigen zur Hauptverhandlung formell schon nach § 246 a StPO obligatorisch, sofern eine Unterbringung in Betracht kommt. Eine Vorabentscheidung über die Richtung der gerichtlichen Aufklärung ist damit nicht verbunden. Die Entscheidung Herrn Mollaths, sich nicht psychiatrisch explorieren zu lassen, sei zudem dem LG Regensburg bereits im November mitgeteilt worden.

Nachträgliche Sicherungsverwahrung unter neuem Etikett? Offener Brief an den Bundesjustizminister

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Offener Brief an den Bundesjustizminister

 

Der folgende Offene Brief ist am 12.12.2013 an die amtierende Bundesjustizministerin, Frau Leutheusser-Schnarrenberger, abgeschickt worden, mit der freundlichen Bitte um Weiterleitung an ihren Nachfolger bzw. ihre Nachfolgerin. 
 
 
Dortmund, 30.11.2013
Sehr geehrte Frau Justizministerin/sehr geehrter Herr Justizminister,
im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD ist unter Ziff. 5.1. vorgesehen:
 
 "Zum Schutz der Bevölkerung vor höchstgefährlichen, psychisch gestörten Gewalt- und Sexualstraftätern, deren besondere Gefährlichkeit sich erst während der Strafhaft herausstellt, schaffen wir die Möglichkeit der nachträglichen Therapieunterbringung.“
.
Wir sind ein Arbeitskreis aus Wissenschaft und Praxis, der sich seit einem Jahr mit den Entwicklungen im Bereich der freiheitsentziehenden Maßregeln der Besserung und Sicherung kritisch auseinandersetzt.
Das Vorhaben einer nachträglichen Therapieunterbringung lehnen wir nachdrücklich ab
Gegen deren Einführung sprechen insbesondere die folgenden Gründe: 
.
1.         Umetikettierung: Mit der „nachträglichen Therapieunterbringung“ würde die „nachträgliche Sicherungsverwahrung“ unter einem anderen Namen wiedereingeführt (vgl. auch § 2 Abs. 2 ThUG i.d. Fassung vom 05.12.2012 mit der Unterbringungsmöglichkeit in der Sicherungsverwahrung), obwohl dieses Instrument sich nach übereinstimmender Auffassung in Wissenschaft und Praxis nicht bewährt hat, für den Schutz der Allgemeinheit nicht erforderlich ist und daher folgerichtig vor kurzem (fast) vollständig abgeschafft wurde.
 
2.         Widersprüchlichkeit: Die Einführung der nachträglichen Therapieunterbringung widerspräche dem Grundgedanken der im Jahr 2010 beschlossenen Reform des Sicherungsverwahrungsrechts, wonach die vorbehaltene Sicherungsverwahrung die nachträgliche Unterbringung überflüssig machen sollte. Da der Anwendungsbereich vorbehaltener Sicherungsverwahrung zu diesem Zweck erheblich ausgedehnt wurde, bestünden nach der Erweiterung der Therapieunterbringung sogar mehr Möglichkeiten zur Anordnung einer gefährlichkeitsbedingt unbefristeten Unterbringung als vor der Neuordnung des Rechts der Sicherungsverwahrung. Darin läge zugleich ein grundlegender Widerspruch zu dem mit der nämlichen Reform verfolgten Ziel, die Unterbringungsmöglichkeiten im Sinne des ultima-ratio-Gedankens insgesamt einzuschränken.
 
3.         Netz-Erweiterung: Stattdessen würde an die in den vergangenen beiden Jahrzehnten zu beobachtende bedenkliche Entwicklung, unbefristete Formen der Unterbringung auszudehnen, angeknüpft. Das stünde auch im Widerspruch zu der ebenfalls unter Ziff. 5.1. des Koalitionsvertrages aufgeführten Absicht, das Recht der strafrechtlichen Unterbringung in psychiatrischen Krankenhäusern dergestalt zu reformieren, dass insbesondere dem Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stärker zur Wirkung verholfen wird.
 
4.         Menschenrechtswidrigkeit: Die Einführung einer zusätzlichen nachträglichen Unterbringung ist auch angesichts des EGMR- Urteils vom 28.11.2013 (Glien gegen Deutschland, Beschwerde-Nr. 7345/12) höchst fragwürdig. Der EGMR weist in seiner Entscheidung darauf hin, dass der Begriff "unsound mind" eine Geistesstörung von einiger Schwere voraussetzt und deshalb enger sein dürfte als der einer bloßen "psychischen Störung" im Sinne des Therapieunterbringungsgesetzes.
 
5.         Vorrangigkeit des Erkenntnisverfahrens: Bei der nachträglichen Therapieunterbringung soll es nicht mehr zwingend auf erst im Vollzug der Freiheitsstrafe erkennbar gewordene Tatsachen („nova“) ankommen. Ausreichend sein soll vielmehr eine während des Strafvollzugs festgestellte besondere Gefährlichkeit aufgrund einer diagnostizierten psychischen Störung. Da diese aber zumeist bereits im Zeitpunkt der Verurteilung bestanden haben wird, begründete die nachträgliche Therapieunterbringung auch einen Verstoß gegen den von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof bei § 66b StGB a.F. betonten Grundsatz der Vorrangigkeit des Erkenntnisverfahrens bzw. gegen das Verbot einer Korrektur rechtskräftiger Entscheidungen. 
 
6.         Prognoseproblem: Die Rückfalluntersuchungen von Alex, Kinzig, Müller/Stolpmann* belegen, dass für hoch gefährlich gehaltene Sexual- und Gewaltstraftäter nur selten erneut mit einschlägigen Rückfalltaten auffallen. Dies weist darauf hin, dass nach wie vor erhebliche  Unsicherheiten bei Kriminalprognosen bestehen. Diese Unsicherheiten sind bei nachträglichen Unterbringungsentscheidungen sogar besonders groß, weil dem prognostisch wenig aussagekräftigen Vollzugsverhalten zwangsläufig zentrale Bedeutung zukommt.
* Alex, Michael: Nachträgliche Sicherungsverwahrung – ein rechtsstaatliches und kriminalpolitisches Debakel. 2. Aufl., Holzkirchen 2013; Kinzig, Jörg: Die Legalbewährung gefährlicher Rückfalltäter. 2. Aufl., Freiburg 2010; Müller, Jürgen. L. und Georg Stolpmann: Untersuchung der nicht angeordneten Sicherungsverwahrung – Implikationen für die Neuregelung der Sicherungsverwahrung. In: Müller, Jürgen L.; Nedopil, Norbert; Saimeh, Nahlah; Habermeyer, Elmar; Falkai, Peter (Hrsg.): Sicherungsverwahrung – wissenschaftliche Basis und Positionsbestimmung. Berlin 2012.
 
7.         Klimaverschlechterung im Vollzug: Zwingende Folge der (Wieder-)Einführung einer nachträglichen Sicherungsverwahrung/Therapieunterbringung wären erneuterhebliche Belastungen für den Strafvollzug durch hohen bürokratischen Aufwand, Verunsicherung von tausenden Strafgefangenen, welche die formellen Voraussetzungen der Therapieunterbringung erfüllen, und Behinderung von Resozialisierungsmaßnahmen (double-bind für Gefangene).  
 
8.         Sanktionierung von Haftschäden: Zudem würde Gefährlichkeit ausschließlich den Gefangenen angelastet, obwohl sie in erheblichem Maße eine Folge von iatrogenen, d.h. dem Vollzug zuzurechnenden Faktoren darstellt.
 
9.         Schlechterstellung im Strafvollzug: Der vom BVerfG in seinem Urteil vom 04.05.2011 betonte „ultima-ratio-Grundsatz“ besagt, dass Strafgefangene Anspruch auf eine intensive und individuelle Betreuung haben, wenn ihnen die Vollstreckung der Sicherungsverwahrung droht. Während des Strafvollzugs muss alles dafür getan werden, um die Maßregelvollstreckung noch zu vermeiden. Diesem Grundsatz könnte  bei der nachträglichen Unterbringung nicht Rechnung getragen werden, weil deren Anordnung erst zum Ende des Strafvollzugs erfolgt. Strafgefangene, gegen welche die Unterbringung nachträglich angeordnet würde, stünden daher sogar deutlich schlechter als solche mit angeordneter oder vorbehaltener Sicherungsverwahrung (§ 66 c Abs. 2 StGB),
 
10.     Stigmatisierung psychisch Kranker:Zurecht haben deutsche Psychiater* die Ausweitung psychiatrischer Diagnosen zu sicherheitspolitischen Zwecken als Missbrauch der Psychiatrie bezeichnet und vor der mit der Gleichsetzung von Gefährlichkeit und psychischer Störung verbundenen Stigmatisierung psychisch Kranker gewarnt.
 
 
Wir fordern Sie deshalb auf, das gesamte Maßregelrecht einer gründlichen - am Verhältnismäßigkeitsgrundsatz orientierten - Prüfung zu unterziehen und insbesondere von einer weiteren Ausdehnung der Sicherungsverwahrung, verkappt als Therapieunterbringung, abzusehen.
 
Mit freundlichen Grüßen:
Erstunterzeichner
Dr. Michael Alex, freier Mitarbeiter, Universität Bochum
Peter Asprion, Bewährungshelfer, Freiburg
Dr. Tillmann Bartsch, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen, Hannover
Prof. i.R. Dr. Lorenz Böllinger, Universität Bremen
Dr. Axel Boetticher, Richter am Bundesgerichtshof (i.R.), Bremen
Prof. Dr. Hauke Brettel, Universität Marburg
RA Dr. Sven-Uwe Burkhardt, Strafverteidiger, Dortmund
Prof. Dr. Heinz Cornel, Alice Salomon Hochschule, Berlin
P. Günter Danek, Sozialreferent (i.R.),Viersen
Prof. Dr. Axel Dessecker, Kriminologische Zentralstelle, Wiesbaden
Prof. Dr. Kirstin Drenkhahn, Freie Universität Berlin
Prof. em. Dr. Ulrich Eisenberg, Freie Universität Berlin
Prof. i.R. Dr. Johannes Feest, Universität Bremen
Prof. Dr. Thomas Feltes, Universität Bochum
Jochen Goerdeler, Staatsanwalt, Kiel
Prof. Dr. Christine Graebsch, Fachhochschule Dortmund
RAin Lisa Grüter, Strafverteidigerin, Dortmund
Akad. Rat Dr. Stefan Harrendorf, Universität Göttingen
Prof. Dr. Katrin Höffler, Universität Göttingen
Dr. Heinz Kammeier, Lehrbeauftragter, Universität Witten/Herdecke
Prof. Dr. Johannes Kaspar, Universität Augsburg
Prof. Dr. Jörg Kinzig, Universität Tübingen
VRiLG Matthias Koller, Landgericht Göttingen
Prof. em. Dr. Arthur Kreuzer, Universität Gießen
Christfried Kühne, Diplomsozialarbeiter/-pädagoge im Justizvollzug Niedersachsen
Prof. Dr. Helmut Kury, Universität Freiburg
RiOLG Dr. Wolfgang Lesting, OLG Oldenburg
Dr. Christine Morgenstern, Wiss. Mitarbeiterin, Universität Greifswald
Prof. Dr. Henning Ernst Müller, Universität Regensburg
Prof. Dr. Jürgen Müller, Asklepios Fachklinikum Göttingen
Prof. em. Dr. Norbert Nedopil, Universität München
Prof. Dr. Christian Pfeiffer, Direktor, Kriminologisches Forschungsinstitut Niedersachsen
Privatdozent Dr. Helmut Pollähne, Strafverteidiger, Bremen
Prof. Dr. Joachim Renzikowski, Universität Halle
RA Sebastian Scharmer, Strafverteidiger, Berlin
Pfr. Adrian Tillmanns, Seelsorger JVA Werl, Beauftragter der Ev. Bundeskonferenz für SV
RA Dr. Joachim Walter, ehem. Anstaltsleiter der JVA Adelsheim
Cornelius Wichmann, Diplompädagoge, Freiburg
RAin Dr. Ines Woynar, Strafverteidigerin, Hamburg

 

Weitere Unterzeichner sind auf der Seite des Strafvollzugsarchivs abrufbar. Dort kann man sich auch weiterhin als Unterzeichner eintragen lassen.

Rückblick 2013: Die Topthemen hier im beck-blog

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Wie in den vergangenen Jahren (Rückblick 2010, Rückblick 2011, Rückblick 2012) soll hier ein Überblick über häufig angeklickte und häufig kommentierte Blogbeiträge gegeben werden. Aus technischen Gründen können nur Beiträge berücksichtigt werden, die zwischen 1. Januar 2013 und 31. Dezember 2013 eingestellt wurden; Beiträge, die vorher eingestellt wurden und dann 2013 besonders häufig geklickt oder kommentiert wurden, gehen in diese Statistik nicht ein. Im Jahr 2013 war das Thema "Fall Mollath" von den Kickzahlen und den Kommentierungen her mit weitem Abstand das populärste Thema. Direkt zum Fall Mollath erschienen im Jahr 2013 insgesamt sieben Beiträge. Diese sieben Beiträge sind im folgenden Überblick zu einem "Top-Thema" zusammengefasst.

 

1. Der Fall Mollath (sieben Beiträge im Jahr 2013 (insgesamt über 450.000 Abrufe)

 

2. Polizeibeamter schlägt gefesselte Frau in Polizeigewahrsam - aus Notwehr? (19900 Abrufe)

 

3. Der neue § 226 a StGB: Verstümmelung weiblicher Genitalien - verfassungswidrig? (14200 Abrufe)

 

4. Wenn der Staat zum Täter wird - Bemerkungen zur ARD-Reportage: "Unschuldig in Haft"(12100 Abrufe)

 

5. Loveparade 2010, Gutachten aus England: Katastrophale Enge im Eingangsbereich vorhersehbar (9700 Abrufe)

 

6. Zur notwendigen Reform des § 63 StGB - Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (9500 Abrufe)

 

7. Bradley Manning: Ein Kommentar (9500 Abrufe)

 

8. Zur Strafbarkeit der Veröffentlichung von Dokumenten aus Strafverfahren (z.B. Fall Mollath) nach § 353d Nr.3 StGB (9300 Abrufe)

 

9. Kostenlos - Neues Skript Internetrecht - Stand April 2013 (8500 Abrufe)

 

10. Europäischer Verbraucherschutz: eine Katastrophe - eine Fallstudie (8200 Abrufe)

 

Die am häufigsten kommentierten Beiträge im Jahr 2013 waren:

 

1. Der Fall Mollath (sieben Beiträge im Jahr 2013 (insgesamt ca. 4700 Kommentare)

 

2. Polizeibeamter schlägt gefesselte Frau in Polizeigewahrsam - aus Notwehr? (159 Kommentare)

 

3. Loveparade 2010, Gutachten aus England: Katastrophale Enge im Eingangsbereich vorhersehbar (107 Kommentare)

 

4. Der neue § 226 a StGB: Verstümmelung weiblicher Genitalien - verfassungswidrig? (93 Kommentare)

 

5. Was soll ich tun? (84 Kommentare)

 

6. Wenn der Staat zum Täter wird - Bemerkungen zur ARD-Reportage: "Unschuldig in Haft"(63 Kommentare)

 

7. Und nun? (60 Kommentare)

 

8. Zur notwendigen Reform des § 63 StGB - Unterbringung in einem psychiatrischen Krankenhaus (57 Kommentare)

 

9. In eigener Sache: Moderation im beck-blog (54 Kommentare)

 

10. Nach Auslosung der Presseplätze für den NSU-Prozess: Gejammer ist unangebracht (52 Kommentare)

 

 

Allgemein lässt sich eine Verschiebung zu strafrechtlichen Themen feststellen, die frühere Dominanz von Internetthemen ist nicht mehr erkennbar. Über die Qualität der Beiträge oder Diskussionen sagen solche quantitativen Daten natürlich nicht viel aus.


§ 211 StGB - Mord - einfach aus dem Gesetz streichen?

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Der Strafrechtsausschuss des Deutschen Anwaltvereins (DAV) ist heute mit einem Vorschlag an die Öffentlichkeit getreten, der für Diskussionen sorgen sollte.

Der Entwurf lautet:

"§ 211 StGB entfällt

§ 212 StGB Tötung

Wer einen Menschen tötet, wird mit Freiheitsstrafe nicht unter fünf Jahren oder mit lebenslanger Freiheitsstrafe bestraft.

§ 213 StGB minder schwere Fall der Tötung

Im minder schweren Fall der Tötung ist die Freiheitsstrafe ein bis zehn Jahre"

(Quelle)

Verfahrensrechtlich wird zudem bei Tötungsdelikten eine zweiteilige Verhandlung (formelles Schuldinterlokut) vorgeschlagen, so dass die Tataufklärung deutlich von der Verhandlung über die Strafzumessung getrennt werde.

So sehr die Kritik an der noch aus nationalsozialistischer Zeit stammenden tätertypologischen Formulierung des derzeitigen § 211 StGB ("Mörder ist..") und § 212 StGB ("...wird als Totschläger ...") und an den derzeitigen Mordmerkmalen zutrifft, so verwundert doch der radikale Schritt in diesem Vorschlag, zwischen verschiedenen Tötungsfällen die ganze Bandbreite von einem Jahr bis zu lebenslanger Freiheitsstrafe zuzulassen, ohne jegliche konkretere gesetzliche Merkmale anzugeben. Dies wird v.a. damit begründet, dass jeder Einzelfall so verschiedene Aspekte in sich vereine, dass abstrakte gesetzliche Vorgaben nicht sinnvoll seien.

Der DAV will damit die Ausbildung näherer Strafzumessungskriterien in Tötungsfällen allein der richterlichen Rechtsfortbildung überlassen. Hier wird "erwartet", dass sich Fallgruppen herausbilden werden. Der völlige Verzicht auf gesetzliche Vorgaben hinsichtlich einer Differenzierung zwischen schweren Fällen der vorsätzlichen Tötung (bislang: "Mord") und "normalen" bzw. "minder schweren Fällen" wird damit begründet, dass so ein Legitimationsgewinn gegenüber der starren Vorgabene des § 211 StGB und "seiner nur vorgetäuschten Genauigkeit" erzielt werden könne.

In der ausführlicheren (sehr lesenswerten) Erläuterung wird auf den tatsächlich längst überfälligen Reformbedarf der Tötungstatbestände hingewiesen und auf bisherige Reformvorschläge eingegangen.

Merkwürdigerweise wird dabei gegen frühere Vorschläge, mit denen die Regelbeispielstechnik bei den Tötungsdelikten eingeführt werden sollte, u.a. mit Argumenten gestritten, die noch viel eher  gegen den jetzigen Vorschlag des DAV sprechen. So sei an der Regelbeispielstechnik zu kritisieren, dass das Bestimmtheitsgebot umgangen werde. Dass dem Bestimmtheitsgebot aber besser genügt wird, wenn man auf jegliche gesetzliche Vorgabe verzichtet und einfach darauf vertraut, dass sich das Recht in der Praxis von selbst in die vom DAV gewünschte Richtung entwickelt, wage ich zu bezweifeln. Der Verzicht auf jegliche Vorgabe wird nach meiner Einschätzung eher zu einer Zementierung der bisherigen praktischen Kasuistik der Mordmerkmale führen (nunmehr ohne am Gesetzeswortlaut zu "kleben")  als dazu, dass nun die Landgerichte und der BGH ganz neue Überlegungen anstellen. Wenn man - wie der DAV zu Recht kritiisert - die "niedrigen Beweggründe" generell als Merkmal für verfehlt hält, dann sollte dies auch im Gesetz zum Ausdruck kommen. Man wird also m.E. bei eienr - nötigen! - Reform der Tötungsdelikte nicht umhin kommen, für die jeweilige Richtung (schwere und minder schwere Tötungsfälle) gesetzliche Kriterien zu formulieren.

Was meinen Sie?

 

 

 

 

 

Patient 60 Tage lang ununterbrochen ans Bett fixiert - Psychiatrie in der Kritik

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In der vergangenen Woche wurde – u.a. durch den Einsatz von Herrn Heidingsfelder und Herrn Mollath – die Aufmerksamkeit der Presse auf einen Fall aus dem Jahr 2011 gelenkt. Ein Patient der Forensischen Psychiatrie in Taufkirchen soll u.a. 60 Tage ununterbrochen an sein Bett fixiert worden sein. Dies wurde von der (neuen) Leiterin der Klinik gegenüber Regensburg Digital bestätigt. Hier der Bericht der Süddeutschen Zeitung, der Nürnberger Nachrichten  und eine Pressemitteilung der Grünen im Bayerischen Landtag.

Als ich vor Kurzem erstmals von diesem Fall hörte, konnte ich es schlicht nicht glauben. Für eine derart lang andauernde Maßnahme, die auch kurzfristig schon einen schwerwiegenden Grundrechtseingriff darstellt, kann ich mir keine rechtmäßige Grundlage vorstellen.

Mitunter sind Menschen psychiatrisch untergebracht, die bei akuten Symptomen ihrer Krankheit oder Störung sowohl sich selbst als auch andere Patienten wie auch Pflegepersonal an Leib und Leben gefährden. Es liegt in der Verantwortung des Personals in solchen akuten Situationen zu reagieren, mit psychopharmazeutischen und/oder mechanischen Mitteln. Manche Ärzte sind, wie auch manche Patienten, der Auffassung, eine mechanische Intervention (= Fixierung) sei einer medikamentösen vorzuziehen. Auch eine derart gerechtfertigte (kurze) Fixierung eines Patienten ist aber ein gewaltsamer Eingriff in dessen Freiheit, der einhergehen kann mit Widerstand des Betroffenen und Schreien. Der derzeit verbreitete Audiomitschnitt von einem Telefongespräch, bei dem man im Hintergrund Schreie einer - angeblich fixierten - Patientin hört, ist daher noch kein Zeichen für eine Menschenrechtsverletzung.

Die Kernfrage des Ob und Wie einer Fixierung ist die Rechtsgrundlage, auf die ein solcher schwerer Eingriff in die Freiheit der Person gestützt wird. Als Grundlagen kommen hier die Notrechte (§§ 32, 34 StGB) in Betracht, die aber jeweils einen strengen Gegenwärtigkeitsbezug haben. Eine länger andauernde Fixierung lässt sich daraus nicht rechtfertigen, d.h. der Patient ist jeweils nach einer kurzen Frist zu entfesseln, um zu prüfen, ob die Gefährdung durch ihn noch vorliegt. Längere Fixierungen können allenfalls als ärztliche Behandlungsmaßnahme in Betracht gezogen werden, aber auch hier sind der Dauer enge Grenzen gesetzt.

 

Soweit die Fixierung als notwendige Behandlungsmaßnahme qualifiziert wird, muss der behandelnde Arzt sie aber zumindest ausdrücklich anordnen.

Zitat OLG Köln (Urteil vom 2.Dezember 1992 - 27 U 103/91):

„Nach den überzeugenden Ausführungen des Sachverständigen Prof. Bo. ist die Fixierung eines manisch erregten Patienten ohne ausreichende Sedierung eine unzumutbare Quälerei. Die Fixierung könne nur ein Teil der Behandlung sein, deren Beziehung zur Pharmakotherapie und den Möglichkeiten des persönlichen Eingehens von Pflegepersonal und Arzt auf den Patienten zu sehen sei. Je nach den Umständen könne eine Fixierung zwar unvermeidlich sein; die Abwägung der Risiken müsse aber dem Arzt vorbehalten bleiben, der dann auch die weiteren Anordnungen zur persönlichen Sicherheit des Patienten zu treffen habe. Eine eigenmächtige Fixierung durch das Pflegepersonal könne nur zur Abwendung akuter Gefahren für den Patienten oder andere, die keinen Aufschub dulden, zugelassen werden.“

Nach OLG Frankfurt (vom 4.12.2006 -20 W 425/06) war auch eine vormundschaftsgerichtliche Fixierungsanordnung über längere Dauer nur unter engen Voraussetzungen rechtmäßig:

Zitat:

„Der Sachverständige hat insoweit zwar um eine Genehmigung der Fixierung für den Zeitraum von zwei Wochen gebeten, jedoch keinerlei Ausführungen zu der Frage der konkret notwendigen Dauer sowie einer eventuell wiederkehrenden Notwendigkeit einer Fixierung gemacht. Seine pauschalen Ausführungen vermögen eine Anordnung oder Genehmigung der Fixierung nicht zu rechtfertigen. Denn eine solche unterbringungsähnliche Maßnahme darf im Hinblick auf den hiermit verbundenen besonders schwerwiegenden Grundrechtseingriff, mit welchem die Freiheit weit über das Maß der angeordneten Unterbringung in einer geschlossenen psychiatrischen Einrichtung hinaus in zusätzlich besonders belastender Weise beschränkt werden soll, nur nach sorgfältiger einzelfallbezogener Prüfung und mit entsprechender Begründung der Notwendigkeit zum Wohl der betroffenen Person angeordnet werden.“

Die genannten Entscheidungen ergingen nicht für den Maßregelvollzug. Sie lassen sich zumindest im Grundsatz aber auch auf strafrechtlich untergebrachte Patienten beziehen. (Seit letztem Jahr gilt i.Ü.  für die Genehmigung von Zwangsmaßnahmen gegenüber betreuten Patienten der neu gestaltete § 1906 BGB)

In den Art. 13 und 19  Bay. Unterbringungsgesetz (nach Art. 28 analog anwendbar im Maßregelvollzug) ist lediglich allgemein der unmittelbare Zwang und dessen Grenzen geregelt. Eine konkrete gesetzliche Regelung für die Fixierung eines Patienten besteht hingegen nicht. Es existiert bis dato in Bayern auch kein Maßregelvollzugsgesetz, worin diese Frage für strafrechtlich untergebrachte Patienten (§§ 63, 64 StGB) geregelt wäre.  Nach dem niedersächsischen Maßregelvollzugsgesetz ist z.B. überhaupt nur die „kurzdauernde mechanische Fixierung“ zulässig, andere Maßregelvollzugsgesetze der BLänder erwähnen nur die Fesselung.

Mein Vorschlag wäre, gesetzlich zu regeln, dass die Fixierung nur unter engen Voraussetzungen ärztlich (mit schriftlicher Niederlegung der Gründe) angeordnet werden darf und dass eine Fixierung, die länger als 24 Stunden andauern soll, der richterlichen Genehmigung bedarf.

Was meinen Sie?

Loveparade 2010 - Anklageerhebung nach fast vier Jahren

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Soeben wurde mitgeteilt (Quelle-Der Westen), dass die Staatsanwaltschaft Duisburg Anklage erhoben hat. Nicht nur die lange Dauer dieses Ermittlungsverfahrens - trotz des außergewöhnlichen Umfangs erscheinen mehr als dreieinhalb Jahre sehr lang, sondern auch die Frage, wer von den zunächst 16 Beschuldigten nun angeklagt wird, hat in jüngster Zeit die Öffentlichkeit stark beschäftigt (Artikel aus der SZ).

Morgen will die Staatsanwaltschaft in einer Pressekonferenz Einzelheiten mitteilen. Sobald nähere Informationen verfügbar sind, werde ich diese hier kommentieren.

Es besteht hier auch wieder die Möglichkeit der Diskussion.

 

 

Wer sich über die bisherigen Diskussionen informieren möchte, kann sie hier finden - unmittelbar darunter einige Links zu den wichtigsten Informationen im Netz.

Mai 2013 (130 Kommentare, ca. 11000 Abrufe)

Juli 2012 (68 Kommentare, ca. 6500 Abrufe)

Dezember 2011 (169 Kommentare, ca. 7700 Abrufe)

Juli 2011 (249 Kommentare, ca. 13000 Abrufe)

Mai 2011 (1100 Kommentare, ca. 12000 Abrufe)

Dezember 2010 (537 Kommentare, ca. 10000 Abrufe)

September 2010 (788 Kommentare, ca. 19000 Abrufe)

Juli 2010 (465 Kommentare, ca. 28000 Abrufe)

Ergänzend:

Link zur großen Dokumentationsseite im Netz:

Loveparade2010Doku

Link zur Seite von Lothar Evers:

DocuNews Loveparade Duisburg 2010

Weitere Links:

Große Anfrage der FDP-Fraktion im Landtag NRW

Kurzgutachten von Keith Still (engl. Original)

Kurzgutachten von Keith Still (deutsch übersetzt)

Analyse von Dirk Helbing und Pratik Mukerji (engl. Original)

Loveparade Selbsthilfe

Multiperspektiven-Video von Jolie / Juli 2012 (youtube)

Interview (Januar 2013) mit Julius Reiter, dem Rechtsanwalt, der eine ganze Reihe von Opfern vertritt.

Das Strafmaß im Prozess gegen Uli Hoeness

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Was unter höchstem Medieninteresse einschließlich Spiegel-Online Live-Ticker (fast) aus dem Münchener Gerichtssaal heute stattfindet, ist auch deshalb so spannend, weil sonst ja regelmäßig Absprachen das Strafmaß im Wirtschafts- und Steuerstrafrecht bestimmen. Natürlich wissen wir nicht, ob nicht auch im Fall Hoeneß das Strafmaß längst abgesprochen wurde (vgl. dazu Heribert Prantl), aber zumindest momentan herrscht der Eindruck vor, als sei dies nicht der Fall. Die Staatsanwaltschaft fordert 5 Jahre 6 Monate Freiheitsstrafe, angesichts der Höhe des eingeräumten Steuerhinterziehungsbetrags sicherlich nicht unangemessen; die Möglichkeiten der Ausgestaltung des Vollzugs und der Vollstreckung (§ 57 Abs.2 StGB) können selbst diese Strafe erträglich(er) erscheinen lassen.

Die Verteidigung hält die Selbstanzeige für wirksam, zumindest für schuld- und strafrelevant, so dass für eine Verfahrenseinstellung bzw. eine zur Bewährung auszusetzende Freiheitsstrafe plädiert wurde. Richtig ist wohl, dass ohne diese Selbstanzeige ein Nachweis der Steuerhinterziehung (zum jetzigen Zeitpunkt) nicht möglich gewesen wäre. Und dass bei Spekulationsgeschäften dieser Art die in § 371 AO geregelte Selbstanzeige kaum zeitnah (formal vollständig) erstellt werden kann.

Die Frage, welche Rolle die Selbstanzeige spielt, ist daher zur entscheidenden geworden. Die erst während des Hoeneß-Verfahrens (und teilweise dadurch ausgelöste) rechtspolitische Diskussion über die Selbstanzeige darf hier naturgemäß keine Rolle spielen. Dass die Selbstanzeige nicht vollständig die Anforderungen des § 371 AO erfüllt, lässt sich aus den bekannt gewordenen Fakten aus der Hauptverhandlung schließen. Ich schätze aber, dass das Gericht dennoch einen strafmildernden Effekt der Selbstanzeige bejaht und damit die von der Staatsanwaltschaft geforderte Freiheitsstrafe erheblich unterschritten wird.

Aktuelle Meldung: 3 Jahre und 6 Monate Freiheitsstrafe

Zur Rolle der (formal unvollständigen) Selbstanzeige wird - im Falle der Revision - sicherlich auch noch der BGH Stellung nehmen.

 

Fall Mollath - Muss über die Rechtmäßigkeit der Maßregelvollstreckung nicht mehr entschieden werden?

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Vergleichsweise wenig Aufsehen – verglichen mit den Entscheidungen im letzten Jahr – hat ein Beschluss des OLG Bamberg vom 24. März 2014 in der Maßregelvollstreckungssache gegen Gustl Mollath erregt.

Es ging um einen (kleinen) Teil des großen Aufräumens nach dem erschütternden Skandal um die siebenjährige Unterbringung Mollaths, die im letzten Sommer durch die Anordnung der Wiederaufnahme durch das OLG Nürnberg endete.

Erst Ende August 2013, also nach der Freilassung Mollaths, hatte das BVerfG über die schon im Januar 2012 eingelegte Verfassungsbeschwerde gegen einen Beschluss des OLG Bamberg vom 26.08.2011, mit dem die Vollstreckung bestätigt wurde, entschieden: Die Verfassungsbeschwerde Mollaths sei zulässig und begründet. Das OLG Bamberg habe im August 2011 in verfassungswidriger Weise zu Lasten Herrn Mollaths dessen weitere Unterbringung bestätigt. Die Gründe der Entscheidung hätten insb. der Bedeutung des Verhältnismäßigkeitsgebots in Fragen der (langjährigen) Freiheitsentziehung nicht entsprochen. Die Entscheidung des OLG Bamberg wurde daher vom BVerfG aufgehoben und die Sache an das OLG Bamberg zurückverwiesen.

Da wegen der Freilassung Mollaths über die Verlängerung der  Vollstreckung nicht mehr entschieden werden konnte, hatte Gustl Mollath bzw. sein Verteidiger, RA Strate, nun den Antrag gestellt, festzustellen, „dass die Voraussetzungen der Maßregel seit dem 11.05.2011 nicht mehr vorgelegen haben.“

Letzte Woche nun hat das OLG Bamberg seine Entscheidung  getroffen: Das Verfahren wurde für erledigt erklärt, da der Verfahrensgegenstand durch die Freilassung Herrn Mollaths, und damit auch seine Beschwer, wegen prozessualer Überholung praktisch nicht mehr vorhanden sei.

RA Strate hat diesen Beschluss umgehend kritisiert und eine Gegenvorstellung verfasst.  Die bloße formale Erledigterklärung genüge schon dem Tenor der Entscheidung nicht. Das OLG Bamberg missachte die Bindungswirkung des § 31 BVerfGG.

Zitat Strate:

„Das Oberlandesgericht Bamberg war nach dem unmissverständlichen Tenor der verfassungsgerichtlichen Entscheidung zu einer erneuten Entscheidung aufgerufen worden, und zwar in der Sache. Eine derartige Entscheidung hat das Oberlandesgericht nicht getroffen, sondern lediglich die angebliche Erledigung der anhängigen Beschwerde konstatiert. Das Oberlandesgericht Bamberg fühlt sich also dem Gesetzesbefehl des § 31 Abs. 1 BVerfGG nicht unterworfen.“

Die Frage ist, ob Gustl Mollath ein Recht darauf hat, dass die Rechtswidrigkeit seiner inzwischen beendeten Unterbringung vom zuständigen OLG festgestellt wird. Dazu zwei Anmerkungen:

I. Materieller Hintergrund ist eine Entscheidung des BVerfG von 1997 (2 BvR 817/90), mit der es seine vorherige Rechtsprechung änderte: Hieß es zuvor, es sei verfassungsrechtlich unbedenklich, wenn im Strafprozess überholte Maßnahmen nicht mehr angefochten werden könnten, so gilt seit 1997 (BVerfG NJW 1997, 2163), dass Art. 19 Abs. 4 GG unter bestimmten Voraussetzungen auch die (nachträgliche) Rechtmäßigkeitsüberprüfung  erledigter grundrechtsrelevante Maßnahmen verlangt.  Dass im Grundsatz eine prozessual überholte Maßnahme nicht anfechtbar sei, ist aber nach wie vor verbreitete Meinung in der strafprozessualen Praxis, unterstützt von einigen Kommentaren (OLG Hamm NStZ 2009, 592; Meyer-Goßner-StPO vor § 296 Rn. 18a; KK-StPO Hannich, vor §§ 296-303, Rn.7). Sie interpretieren die genannte verfassungsrechtliche Rechtsprechung eng: Überprüfbar seien Maßnahmen  nur, „wenn die direkte Belastung durch den angegriffenen Hoheitsakt sich nach dem typischen Verfahrensablauf auf eine Zeitspanne beschränkt, in welcher der Betroffene die gerichtliche Entscheidung in der von der Prozessordnung gegebenen Instanz kaum erlangen kann“ sprich: bei kurzfristig belastenden Maßnahmen, etwa der Durchsuchung oder Beschlagnahme. In der Tat bezog sich die ursprüngliche Entscheidung des BVerfG auf eine solche Durchsuchungsanordnung.

Das mittlerweile herrschende Schrifttum interpretiert die neue Linie des BVerfG  aber umfassender: Dem verfassungsrechtlichen Sinn nach müsse jeder einigermaßen tiefgreifende Grundrechtseingriff auch bei prozessualer Überholung überprüfbar bleiben (so zB die Kommentierungen von Frisch in SK-StPO § 304 Rn. 53 ff.; Hoch in SSW, vor § 296 Rn. 27 ff.; Matt in LR, vor § 304 Rn. 72). Schaut man auf die weitere Rechtsprechung des BVerfG, muss man diesen Stimmen wohl beipflichten. Das BVerfG gesteht bei tiefgreifenden Grundrechtseingriffen (wozu die Unterbringung jedenfalls gehört) regelmäßig eine fachgerichtliche Überprüfung zu.

Insbesondere das Rehabilitierungsinteresse spricht hier auf den ersten Blick dafür, über den Feststellungsantrag Mollaths materiell zu entscheiden. Dem evtl. dagegen vorgebrachten Argument, die Rehabilitierung Gustl Mollaths sei hinreichend durch die Wiederaufnahme verfolgbar, kann man entgegenhalten, dass selbst wenn das LG Regensburg im Sommer 2014 feststellt, Herr Mollath habe die ihm vorgeworfenen Straftaten nicht begangen, er keineswegs vollständig von dem Stigma rehabilitiert ist, er sei ein Wahnkranker (gewesen) und zu Recht  wegen seiner Gefährlichkeit sieben Jahre lang seiner Freiheit beraubt worden.

II. Beim Argument RA Strates, das OLG habe die Bindungswirkung der verfassungsrechtlichen Entscheidung (Art. 31 BVerfGG) verletzt, bin ich skeptisch:

Wenn das BVerfG eine Sache zur erneuten Entscheidung zurückverweist, ist dies kein bindender Auftrag an das adressierte Gericht, in der (erledigten) Sache materiellrechtlich zu entscheiden. Vielmehr ist die Tenorierung formale Routine, wenn ein Gerichtsbeschluss infolge einer Verfassungsbeschwerde aufgehoben wird (§ 95 Abs. 2 BVerfGG). Das mit der Aufhebung „offene“ Verfahren muss – und zwar in der zuständigen fachgerichtlichen Instanz – irgendwie zum Abschluss gebracht werden. Mit dem Tenor wird aber gerade nicht vorgeschrieben, wie dieser Abschluss erfolgen muss. Wäre es also (entgegen den obigen Ausführungen) richtig gewesen, bei prozessualer Überholung der Sache eine Beschwerde für erledigt zu erklären, dann hätte das OLG damit auch dem Tenor der Entscheidung des BVerfG entsprochen.

 

Link: Olaf Przybilla in der SZ  zum Thema.

Wieder ein Minister im Verdacht! Angebliche Verletzung von Dienstgeheimnissen gem. § 353 b StGB

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Wie soeben berichtet wird, soll Außenminister Steinmeier wegen des Vorwurfs der Verletzung von Dienstgeheimnissen unter Verdacht stehen. Wie verlautet, soll er in einem Telefongespräch mit einem Presseorgan  drei Minister der derzeitigen ukrainischen Regierung als "rechtsradikal" bezeichnet haben. Zuvor sei diese Tatsache im Kabinett zur unbedingt geheimhaltungsbedürftigen Verschlusssache, über die keinesfalls in der Öffentlichkeit geredet werden dürfe, erklärt worden. Einzig Putin dürfe seitens der Minister mit Hitler verglichen werden. Nachdem der Generalbundesanwalt die Ermittlungen gegen Steinmeier aufgenommen hat, will Steinmeier möglicherweise noch heute Abend in einer Pressekonferenz seinen Rücktritt verkünden.

Ob hier aber überhaupt § 353 b StGB verletzt ist, kann man durchaus in Frage stellen. Ist die Tatsache Minister Steinmeier tatsächlich  "als Amtsträger anvertraut" oder "sonst bekanntgeworden"?  Oder hat er sie schon wie jeder andere in der Zeitung gelesen? Die Bundeskanzlerin hält letzteres für ausgeschlossen (Zeitungen werden im Kabinett nicht gelesen) und besteht im Interview darauf, dass in jedem Fall "wichtige öffentliche Interessen gefährdet worden seien".

Fall Peggy – Neue Hauptverhandlung gegen Ulvi K.

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Nach dem Fall Mollath, der im vergangenen Jahr die Öffentlichkeit beschäftigt hat, findet nun mit dem Fall Peggy erneut ein Strafverfahren bundesweit Beachtung, das geeignet ist, das  Vertrauen in die bayerischen  Ermittlungsbehörden und die Justiz auf eine harte Probe zu stellen.

Seit heute findet die neue Hauptverhandlung vor dem LG Bayreuth statt.

Soll in einem Mordfall ohne Leiche verurteilt werden, dann stellt dies an die Strafverfolgungsbehörden, an Sachverständige und das Gericht besonders hohe Anforderungen: Die Beweislage muss eindeutig sein, objektiv begründete Zweifel schon daran, dass überhaupt das angeklagte Tötungsdelikt stattgefunden hat, dürfen nicht verbleiben. Im Fall Peggy, dem vor 13 Jahren verschwundenen Mädchen, und dem Strafverfahren gegen Ulvi K., waren die Beteiligten den an sie gestellten Anforderungen nicht gewachsen. Ganz gleich, ob der Fall Peggy jemals aufgeklärt werden kann: Polizei, Staatsanwaltschaft, Gutachter, Gerichten ist multiples Versagen vorzuwerfen.

Das Geständnis von Ulvi K., praktisch das einzige Indiz für die Tat, ist unter derart fragwürdigen Umständen zustande gekommen, dass erhebliche Zweifel verbleiben [im urspr. Text anders formuliert]. Während der Vernehmung haben die Ermittler offenbar den Beschuldigten darüber getäuscht , man habe Blutspuren von Peggy an seiner Kleidung gefunden. Eine Lüge ist nach § 136a StPO eine verbotene Vernehmungsmethode, was zur Unverwertbarkeit des Geständnisses geführt hätte - nach gerichtlicher Wertung sei aber nur fahrlässig getäuscht worden. Das angebliche Geständnis enthielt kein Täterwissen, Ulvi K. konnte die Ermittler nicht zur Leiche führen oder zu sonstigen Spuren oder Indizien, die seine Tat plausibel gemacht hätten.

Wichtige Teile der sich tage- ja wochenlang hinziehenden  Beschuldigtenvernehmung wurden ohne den bestellten Verteidiger durchgeführt, der durch eine Intelligenzminderung behinderte Beschuldigte wurde mit Freundschaftsangeboten (ein Polizist war als vertrauter "Henningvadder" aufgebaut worden), mit Schokolade, und damit gelockt, er brauche nicht ins Gefängnis, wenn er gestehe. Man hatte einen Spitzel in der Anstalt, der dann auch über ein angeblich "ausgehorchtes" Geständnis Ulvis sprach - dass dieser Spitzel später seine eigene Aussage widerrief, war einer der Wiederaufnahmegründe. Und am entscheidenden Tag, an dem Ulvi K. gegenüber den RErmittlern sein Geständnis abgab, soll „zufällig“ die Tonaufnahme technisch versagt haben, so dass das angebliche Geständnis nur als Gedächtnisprotokoll der Beamten existiert und, wie sich nun herausstellte, im Wesentlichen mit einer zuvor erstellten Tathergangshypothese übereinstimmt. Man versuchte dann noch seitens der Polizei Entlastungszeugen zum Rückzug ihrer Aussagen zu bewegen, damit der Tatverdacht gegen K. nicht gestört würde. Es fällt wirklich schwer, hier nicht an absichtliche Manipulationen zu Lasten des Beschuldigten zu denken.

Die juristische Kontrolle dieser polizeilichen Ermittlungen seitens der Staatsanwaltschaft hat versagt: Entgegen ihrer Verpflichtung, objektiv zu ermitteln und die Beweislage objektiv zu beurteilen, hat die Staatsanwaltschaft die mageren Ermittlungsergebnisse der Polizei offenbar ohne kritische Prüfung zur Anklage gebracht.

Die Strafkammer des LG Hof hat sich mit einer fragwürdigen Beweislage zufrieden gegeben ("ohne jeden Zweifel"). Es hat, um die Glaubhaftigkeit des Geständnisses zu belegen, einen Psychiater beauftragt, der über keine Expertise zur aussagepsychologischen Glaubhaftigkeitsuntersuchung verfügte. Sein Gutachten leidet unter Kardinalfehlern (vgl. dazu die Analyse von Eisenberg in JA 2013, S. 860 ff.; sowie von Sponsel auf seiner Website), wurde aber trotzdem zur entscheidenden Stütze des einzigen Beweismittels.

Schließlich hat auch der erste Senat des BGH seine Kontrollfunktion nicht wahrgenommen und das schwach begründete Mordurteil in der Revision „gehalten“.

Ulvi K. war bei alledem ein leichtes Opfer der ihm übermächtigen Polizeiermittler, die sich offenbar nicht Recht und Gesetz, sondern fragwürdige Kriminalfilme zum Vorbild genommen haben, um ein Ergebnis um jeden Preis zu erzielen.

Erschütternd ist es anzusehen, dass fast alle Fehler, die nach wissenschaftlicher Analyse in der Vergangenheit (in anderen Fällen) zu Falschgeständnissen und Fehlverurteilungen geführt haben, in diesem Fall gemacht wurden.

Zu verdanken ist die bislang erfolgreiche Wiederaufnahme RA Euler und einer rührigen Bürgerinititaive, die es vermochte, auch Journalisten von der Fragwürdigkeit der Verurteilung zu überzeugen.

Ein kleiner Hoffnungsschimmer: Immerhin hat die Staatsanwaltschaft schon im vergangenen Jahr signalisiert, dass sie sich einem Wiederaufnahmeverfahren nicht entgegenstellen werde und hat die Ermittlungen zur Suche nach Peggy schon 2012 wieder aufgenommen. Offenbar will man nun die Wahrheit finden. Und nicht mehr nur auf dem einfachsten Weg einen Schwachen mit der schwersten Beschuldigung verurteilen.

Die Frage, die sich (insbesondere, aber nicht nur) die bayerische Justiz stellen sollte, ist, wie solche Verfahrensweisen künftig vermieden werden können. Eine Forderung liegt seit langem auf dem Tisch: Beschuldigtenvernehmungen und Explorationen - jedenfalls bei schweren Vorwürfen - nur mit kompletter Video- und Tonaufzeichnung als Beweismittel zuzulassen. Eine andere Forderung ist diejenige, auch in solchen Fällen professionell Beteiligte ggf. haften zu lassen, zumindest, wenn eklatante Fehler vorliegen. Bislang ist es wohl eher so, dass Polizeibeamte gelobt werden, wenn der Fall "gelöst" wurde, sogar dann, wenn ein Unschuldiger verurteilt wurde. 

 


Unterschiedliche Verurteilungswahrscheinlichkeit nach Strafanzeigen wegen Vergewaltigung - Kritik einer Presseerklärung des KFN

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Das Kriminologische Forschungsinstitut Niedersachsen (KFN) hat vor Ostern unter der Überschrift: "Vergewaltigung. Die Schwächen der Strafverfolgung - das Leiden der Opfer" eine Presseerklärung publiziert (unterzeichnet von Christian Pfeiffer und Deborah Hellmann). Offenbar handelt es sich um eine Vorabmitteilung über die Ergebnisse einer kriminalstatistischen Studie („Analyse“) über angezeigte Vergewaltigungen und Verfahrensausgang und zugleich um die Ankündigung eines neuen Forschungsprojekts des KFN.

Es ist m. E. zumindest unglücklich, Teilergebnisse und Vermutungen zu Schlussfolgerungen aus bisher nicht veröffentlichten Studien abzugeben. Ohne die vollständige Datengrundlage aus der Studie ist es schwierig bis unmöglich, eine solche Vorabmitteilung wissenschaftlich zu evaluieren. Wenn die Gesamtstudie dann veröffentlicht wird, ist die Diskussion in den Medien, die durch die Presseerklärung ausgelöst wurde, oft schon wieder abgeklungen. Ich möchte dennoch versuchen, die in der Presseerklärung enthaltenen Aussagen einer kritischen Bewertung zu unterziehen, da diese Presseerklärung schon in anderen Medien (zB SZ, Spiegel) aufgegriffen und diskutiert (zB Strafakte.de) wurde.  Dazu habe ich jeweils einen relevanten Teil der Presseerklärung kopiert und kommentiert. Einige wenige Passagen habe ich unkommentiert gelassen und deshalb auch nicht zitiert.

Vor 20 Jahren erlebten 21,6 Prozent der eine Anzeige erstattenden Frauen die Verurteilung des Täters. 2012 waren es nur noch 8,4 Prozent.

Ohne absolute Zahlen ist diese statistische Aussage unzureichend. Wie viele Frauen haben eine Vergewaltigung angezeigt, wie viele Verfahren wurden (nach welcher Norm) eingestellt, wie viele Tatverdächtige wurden angeklagt, wie viele verurteilt, wie viele freigesprochen und wie haben sich diese Zahlen verändert? Um welche Jahre geht es? Und um genau welche Delikte? In den 1990er Jahren wurde das Strafrecht in dem relevanten Abschnitt des StGB grundlegend geändert, insbesondere betraf dies den § 177 StGB, der nunmehr wesentlich erweitert wurde.

Doch das Hauptproblem wird erst in einem aktuellen Ländervergleich erkennbar. Damit hierfür ausreichend große Zahlen zur Verfügung stehen, haben wir die 16 Bundesländer zu sechs Gruppen (A-F) zusammengefasst und zusätzlich das Doppeljahr 2011/12 zugrunde gelegt.

Es ist nicht nachvollziehbar, nach welchen Kriterien die Länder zusammengefasst wurden (etwa nur nach prozentualem Anteil der Verurteilungen an den Anzeigen?). Und kriminalstatistisch ebenfalls nicht nachvollziehbar ist es, wenn ohne Angabe, welche Jahre denn in die Studie überhaupt einbezogen wurden, nun auf das „zusätzliche“ Doppeljahr 2011/2012 hingewiesen wird. Mir sind Jahresstatistiken bekannt, von „Doppeljahren“ habe ich noch nicht gelesen. Möglicherweise wurden ja polizeistatistische Daten aus dem einen mit Strafverfolgungsdaten aus dem folgenden Jahr konfrontiert, aber in der Pressemitteilung steht davon nichts. Es bleibt schleierhaft, welche statistischen Operationen zu den dann folgenden Angaben geführt haben: Gelten sie für einen 20-Jahresszeitraum oder nur für ein „Doppeljahr“? Und was bedeutet dann „zusätzlich“?

Der Anteil der Fälle, in denen eine Vergewaltigungsanzeige zur Verurteilung eines Täters geführt hat, reicht dann im Vergleich der sechs Ländergruppen von 4,1 Prozent (A-Länder) bis zu 24,4 Prozent (F-Länder)

Dieser Spread in der Erledigungsweise von Ermittlungsverfahren ist in der Tat eine erklärungsbedürftige Beobachtung. Ob es ein „Hauptproblem“ ist, ist jedoch nicht von vornherein klar. Würden absoluten Zahlen genannt, könnte man erkennen, ob die unterschiedliche Verurteilungsrate etwa eine unterschiedliche Anzeigerate „ausgleicht“ (was ich vermute), sprich: in Ländern mit vielen Anzeigen führen geringere Anteile davon zur Verurteilung, in Ländern mit weniger Anzeigen werden anteilsmäßig mehr Personen verurteilt. Eine wichtige Angabe wäre die Verurteilungszahl pro 100.000 Ew. ab 8 Jahren in den einzelnen Ländern bzw. Ländergruppen – liegen diese Zahlen ebenso weit auseinander oder sind sie ausgeglichener? Liegen auch diese Zahlen weit auseinander, dann könnte dies bedeuten, dass tatsächlich in den Bundesländern unterschiedlich viele Vergewaltigungen begangen werden oder aber es könnte ein unterschiedlich hohes Risiko bestehen, wegen Vergewaltigung (angezeigt und) verurteilt zu werden. Weil die betreffenden Zahlen nicht genannt werden, entfällt auch die Möglichkeit, diese naheliegenden Optionen zu diskutieren.

Aus Sicht der Bevölkerung betrachtet erscheint es beunruhigend, dass in den A-Ländern im Durchschnitt nur nach jeder 25. polizeilich registrierten Vergewaltigung ein Täter verurteilt wird. In den F-Ländern geschieht das in jedem vierten Fall.

Auch m. E. wäre es beunruhigend, wenn tatsächlich stattgefundene Vergewaltigungen mit sehr unterschiedlich hohem Risiko verurteilt würden. Die polizeiliche Registrierung allein stellt aber noch keinen Umstand dar, der hier zur alleinigen Datengrundlage gemacht werden kann, weil es – bekanntermaßen – bei Vergewaltigung beinahe ausschließlich auf einer Strafanzeige beruht, wenn eine Tat polizeilich registriert wird. Die Presseerklärung arbeitet hier mit der Unterstellung, jede polizeilich registrierte Vergewaltigung müsse als tatsächliche Vergewaltigung gelten.

Die 1998 erfolgte Einbeziehung der ehelichen Vergewaltigung in den Straftatbestand des § 177 StGB hat offenkundig die Anzeigebereitschaft bei solchen Fällen stark erhöht.

Es ist kriminologisch-kriminalstatistisch wenig sinnvoll zu behaupten, die Anzeigebereitschaft habe sich dadurch erhöht, dass das angezeigte Ereignis nun strafbar ist (die entsprechende Änderung fand übrigens schon im Jahr 1997 statt). Denn vorher konnte ja eine solche Anzeige - Vergewaltigung in der Ehe - überhaupt nicht bei § 177 StGB registriert werden. Und § 177 enthält seither auch sexuelle Nötigungen, die zuvor in einem anderen Tatbestand erfasst wurden.  

Zum einen haben sich die Fälle der angezeigten Vergewaltigungen stark in den sozialen Nahraum der betroffenen  Frauen verlagert. Fremde Tatverdächtige erreichten 1994 noch einen Anteil von 30 Prozent der aufgeklärten Fälle. 2012 waren es nur noch 18 Prozent. Der Anteil der „verwandten Tatverdächtigen“ stieg dagegen in diesem Zeitraum von 7,4 auf 27,9 Prozent.

(…)

Daraus ergibt sich ein Beweisproblem. Die beschuldigten Männer geben heute meist den Geschlechtsverkehr zu und berufen sich darauf, er sei einvernehmlich erfolgt.

(…)

Zum anderen zeigen sich zur Zahl der angezeigten Vergewaltigungen pro 100.000 Einwohner gegenläufige Trends. Während diese sogenannte Häufigkeitsziffer in den A-Ländern seit 1994/95 um 42,4 Prozent gestiegen ist, verzeichnen die F-Länder eine Abnahme um 30,1 Prozent. Für das Doppeljahr 2011/12 ergibt sich damit, dass in den A-Ländern pro 100.000 Einwohner um das 2,4-fache mehr Vergewaltigungen registriert worden sind als in den F-Ländern (12,1 zu 5,1).

Diese Angaben entsprechen  meiner schon oben angestellte Vermutung: Die unterschiedlichen Folgen (Verurteilung oder nicht) gleichen unterschiedlich hohe Anzeigezahlen aus. Natürlich wächst das Beweisproblem, je näher (vermutliches) Opfer und Verdächtigter zueinander stehen. Denn dann steht eben öfter Aussage gegen Aussage, was schon der Erwartung nach statistisch zu einer geringeren Anzahl der Verurteilung führen muss. Wenn nun die unterschiedlichen Verurteilungsraten lediglich den unterschiedlichen Anteil von Anzeigen in Nähebeziehungen reflektieren, dann entspräche dieses Ergebnis den Erwartungen: Selbstverständlich sinkt die Verurteilungsquote, wenn die Anzeigen auf weniger stark beweiskräftiger Basis erstattet werden. Das gilt statistisch ganz unabhängig davon, ob im Einzelfall eine falsche Anzeige erstattet wurde oder die Anzeige zwar eine tatsächliche, aber nicht nachweisbare Vergewaltigung zur Grundlage hat.

Die Presseerklärung erwähnt einen wichtigen Zusammenhang nicht: Allgemein werden Strafverfahren nicht etwa mehrheitlich durch Urteil beendet, sondern häufiger durch Verfahrenseinstellungen der Staatsanwaltschaft. Wenn die entsprechenden Zahlen (Erledigung durch die Staatsanwaltschaften) für das hier untersuchte Delikt nicht genannt werden, wird damit der ggf. unzutreffende Eindruck erweckt, es gebe nach einer Vergewaltigungsanzeige nur Verurteilung oder Freispruch. Möglicherweise werden aber eine Reihe der Vergewaltigungsanzeigen gerade in Nähebeziehungen im Verlauf des Verfahrens relativiert und es erfolgt (nur) noch eine Anklage wegen anderer Delikte bzw. eine Einstellung aus Opportunitätsgründen. Jedenfalls bei Körperverletzungsanzeigen im Rahmen häuslicher Gewalt ist häufig zu beobachten, dass nach einer „Versöhnung“ der Beteiligten vorherige  Strafanzeigen oder belastende Aussagen wieder zurückgezogen bzw. relativiert werden. Sicher wird in vielen Fällen die zunächst gestellte Strafanzeige/Aussage der Wahrheit entsprechen, aber den Staatsanwälten und Gerichten lässt sich m. E. nicht vorwerfen, dass sie ihre Entscheidungen nur auf guter Beweisgrundlage treffen.

Anders ausgedrückt: Je größer die Arbeitsbelastung der zuständigen Polizeibeamten, Staatsanwälte und Gerichte ausfällt, desto seltener enden die Strafverfahren mit einer Verurteilung des Täters.

Der vermutete direkte Zusammenhang mit der Arbeitsbelastung der Strafverfolgungsbehörden stellt sich mir als wenig plausibel dar. Man müsste für eine solche Aussage auch Daten zur tatsächlichen Personalstärke  in den entsprechenden Abteilungen und zu deren tatsächlicher Arbeitsbelastung (auch durch andere Ermittlungsverfahren) berücksichtigen, was hier ja offensichtlich nicht geschehen ist.

Der Zusammenhang lässt sich aber auch anders interpretieren: Je häufiger Tatverdächtige der Vergewaltigung in einem Bundesland damit rechnen müssen, verurteilt zu werden, desto niedriger fällt dort die Zahl der registrierten Vergewaltigungen aus. Dies spricht für die präventive Wirkung einer intensiven Strafverfolgung. Auch diese Zusammenhänge sollten im Rahmen eines Forschungsprojektes untersucht werden.

Sicher: Auch diese Interpretation ist möglich aber nach „kriminologischer Vernunft“ wenig naheliegend. Für relativ abwegig halte ich es, dass sich potentielle Täter gerade dann mit Vergewaltigungen zurückhalten, wenn in dem betr. Bundesland ein höheres Verurteilungsrisiko besteht. Über unterschiedliche Verurteilungsrisiken weiß niemand etwas, der nicht gerade diese Presseerklärung gelesen hat, in der ja die betreffenden Bundesländer noch nicht einmal genannt werden. Und auch mit welcher Methode die Forscher gedenken, dieser Frage nachzugehen, bleibt rätselhaft. Für wahrscheinlicher hielte ich einen anderen Zusammenhang, nämlich dass die Anzeigebereitschaft steigt, wenn eine höhere Anzahl der Anzeigen zum „Erfolg“ führt. Aber dies ist ja offenbar auch nicht der Fall. Im Übrigen gibt es hinsichtlich Gewaltverhalten in Beziehungen und Bereitschaft zur Anzeigeerstattung sicherlich soziokulturelle Unterschiede zwischen verschiedenen Regionen Deutschlands und zwischen Stadt und Land, die hier eine Rolle spielen könnten.

Schließlich ist zu überprüfen, ob der Rückgang der Verurteilungsquote auch mit der höchstrichterlichen Rechtsprechung zusammenhängt. 2006 hatte der Bundesgerichtshof eine Verurteilung wegen Vergewaltigung aufgehoben und dies wie folgt begründet: Dass „der Angeklagte der Nebenklägerin die Kleidung vom Körper gerissen und gegen deren ausdrücklich erklärten Willen den Geschlechtsverkehr durchgeführt hat“, belege „nicht die Nötigung des Opfers durch Gewalt. Das Herunterreißen der Kleidung allein reicht zur Tatbestandserfüllung nicht aus“. Seit dieser Entscheidung hat es viele Fälle gegeben, in denen die Staatsanwaltschaften und Gerichte den Vergewaltigungsparagraphen § 177 entsprechend eng ausgelegt haben. Seit vielen Jahren setzt sich deshalb der Bundesverband der 170 Frauennotrufe und Frauenberatungsstellen (bff) für eine Reform des § 177 ein. Dasselbe Ziel verfolgt Terre des Femmes gegenwärtig mit dem Appell „Vergewaltigung –Schluss mit der Straflosigkeit!“ den inzwischen über 27.500 Menschen unterzeichnet haben(www.frauenrechte.de/gegen-vergewaltigung). Das geplante Forschungsprojekt soll auch dazu genutzt werden, zu diesen rechtspolitischen Fragen empirisch breit fundierte Antworten zu liefern. 

Natürlich kann und soll man höchstrichterliche Entscheidungen mit kriminologischem Sachverstand kritisch hinterfragen. Auffällig und wenig verständlich ist insbesondere die unterschiedliche Definition des Merkmals „Gewalt“ in § 177 StGB und § 240 StGB. Es ist auch sinnvoll zu untersuchen, ob und in wie vielen Fällen ein Urteil die vermutete „Wirkung“ auf andere Urteile hatte. Aber ob es der Wissenschaftlichkeit gut tut, sich als unabhängiges Forschungsinstitut schon vor einer solchen Untersuchung mit einer bestimmten rechtspolitischen Position (der Verschärfung des § 177 StGB) zu identifizieren, kann bezweifelt werden.

Öffentlichkeit im Mollath-Prozess: Windhundrennen am Faxgerät

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Wochenlang stritt man vor Beginn der Hauptverhandlung zum NSU-Prozess darum, wer die begrenzten reservierten Presseplätze im Gerichtssaal einnehmen kann. Das Gericht hatte dafür das Windhund-Verfahren vorgesehen: wer zuerst (durch)kommt mit seiner E-Mail, der bekommt einen Platz. Ergebnis: nach Eil-Intervention des BVerfG (!) wegen der Nichtberücksichtigung der ausländischen Presse wurde die Vergabe der Plätze, diesmal im Losverfahren mit einzelnen Töpfen (für regionale, überregionale, internationale Presse, Rundfunk, TV etc.) wiederholt. Mit dem Ergebnis dieses Losverfahrens waren allerdings auch längst nicht alle zufrieden (Diskussion siehe hier). Wäre man gleich so vorgegangen, hätte man sich aber wohl viel Ärger erspart.

Der Fall Mollath hat in den vergangenen Jahren zumindest auf nationalem Niveau großes Aufsehen erregt. Es geht zwar nicht um neonazistisch/rassistisch motivierte Morde, sondern nur um den Vorwurf der Körperverletzung, Freiheitsberaubung und Sachbeschädigung, aber es geht eben auch um wichtige rechtsstaatliche Grundsätze und um das durch den Fall angekratzte öffentliche Vertrauen in die bayerische Justiz: Durch eine diesmal faire und transparente  Hauptverhandlung könnte das LG Regensburg etwas von dem wiedergutmachen, was das LG Nürnberg 2006 versäumt hat. In der Aufarbeitung des Mollath-Falls wird die im Sommer anstehende Hauptverhandlung ein öffentliches  Kernstück sein. Es ist absehbar, dass diese  Hauptverhandlung ein relativ großes nationales öffentliches  Interesse hervorruft. Nichts leichter als die Erfahrungen aus dem NSU-Verfahren zu nutzen. Nichts leichter als alle Journalisten aufzufordern, sich innerhalb eines bestimmten Zeitraums zu melden und dann die Reservierungen im Lostopfverfahren zu vergeben wie es das OLG München im zweiten Anlauf auch getan hat.

Aber Fehler müssen immer zweimal gemacht werden, so hat man den Eindruck. Es gibt diesmal zwar Töpfe für unterschiedliche Medienbereiche (wobei Internetportale wie dieses hier allerdings ausgespart blieben und nur im Resttopf landen).  Aber die reservierten Plätze werden wieder im Windhundverfahren - nach Reihenfolge des Eingangs per Fax vergeben. Heute morgen um 9.00 Uhr (also vor gut einer Stunde) passierte dann das, was man schon vorhersehen konnte: Alle am Verfahren interessierten Journalisten/Presseorgane (einschließlich meines Büros)  haben gleichzeitig den Startknopf auf ihrem Faxgerät gedrückt. Folge: Seit einer Stunde ist kein Durchkommen per Fax. "Keine Verbindung" meldet das Gerät in schöner Wiederholung.

Um es gleich zu sagen: Ich bin selbst betroffen, weil ich für den Beck-Blog auch eine Akkreditierung beantrage und natürlich auch an einem reservierten Platz interessiert bin. Ich würde mich auch keineswegs beschweren, wenn ich bei einem fairen Losverfahren keinen reservierten Platz bekäme und würde mich dann eben in die Warteschlange am Eingang einreihen. Ohnehin wird sich der ganz große Ansturm erfahrungsgemäß auf die ersten Prozesstage beschränken. Im Moment hoffe ich aber noch, dass die Leitung irgendwann mein Fax durchlässt und es noch klappt.

Update: Um 11.30 Uhr meldet das Faxgerät einen Sende-Erfolg.

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Der Tatort am vergangenen Sonntag – Propaganda gegen den Rechtsstaat

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Der Tatort („Ohnmacht“) am letzten Sonntag hat bei mir einen gewissen Ärger entfacht. Nicht so sehr wegen der Geschichte, die durchaus spannend erzählt war. Und auch nicht wegen des Themas „Jugendgewalt“, die in der Realität zwar abnimmt, aber immer noch ein gravierendes gesellschaftliches Problem darstellt.

Ich erwarte von Krimis auch gar nicht, dass sie quasi-dokumentarisch über die Arbeit von Polizei und Justiz berichten. Anlass meines Ärgers war aber der Eindruck, dass knapp hinter der Fassade einer spannenden Kriminalgeschichte mittels der positiv belegten Protagonisten Ballauf und Schenk eine Art Abrechnung mit korrekt arbeitenden Juristen, aber dadurch auch mit Recht und Rechtsstaat stattfand.

Ein von einer Straftat betroffener Polizeibeamter sollte nicht in der Sache ermitteln, in der er selbst Opfer ist  (hier eines Totschlags- bzw. Mordversuchs). Diese selbstverständliche Einsicht, schon ein Gebot des gesunden Menschenverstands, ist dem Herrn Ballauf, dem Sympathieträger in der Sendung, nicht zu vermitteln. Er ist nicht nur – verständlicherweise – emotional betroffen, sondern hat sich schlicht nicht unter Kontrolle. Er und sein Kollege Schenk ignorieren die Anweisungen von oben. Nebenbei: Es ist einer der häufigsten und mittlerweile abgekautesten Plots in Kriminalgeschichten, dass die beamteten Helden vom Fall abgezogen werden, aber dann doch weiterermitteln. Eigentlich geht so etwas nur noch als Ironie oder Witz durch. Aber hier in Köln geschah es nicht einmal heimlich (wie vorletzten Sonntag in München), sondern offen unter den Augen der Vorgesetzten und Kollegen. Ballauf ermittelte weiter, ob bei der „engagierten“ Vernehmung von Beschuldigten oder bei der phantasievollen (Fingerabdrücke einer Noch-Zeugin) bis gewaltsamen (Handy-Kontakte des Verdächtigen) Beweismittelbeschaffung. Die Botschaft schon recht früh im Film: Sich an Recht und Gesetz zu orientieren, ist bei Ermittlungen nur hinderlich, ja geradezu dumm. Normverletzende Aktionen mit emotionaler Beteiligung sind richtig, denn am Ende wird derjenige, der gegen Regeln verstößt, mit Erfolg belohnt. Solange er ein Polizist ist und nicht etwa ein Jugendlicher, wohlgemerkt.

Vor allem aber Juristen sind von Anfang an die Deppen. Aber nicht, weil sie (was durchaus ein Thema wäre) Fehler machen, sondern gerade, weil und wenn sie auf Einhaltung der geltenden Vorschriften bestehen. Eigentlicher Gegner der Polizisten ist der Rechtsstaat: Das Drehbuch propagiert: Je böser die Tat, desto rechtsstaatswidriger dürfen die Ermittlungen sein. Wer auf seinem (Menschen)Recht besteht zu schweigen, um sich nicht selbst zu belasten, ist laut Drehbuch mindestens unsympathisch und hat mit ebenso großer Sicherheit Dreck am Stecken. Wer (als Jugendliche) möchte, dass die Mutter bei der Vernehmung anwesend ist, ist im Grunde allein deshalb hochverdächtig. Unterschiede zwischen Zeugen- und Beschuldigtenvernehmung sind irrelevant, Belehrungen kommen nicht vor, kein Unterschied zwischen Haftbefehl und Verurteilung. Fatale Botschaft: Wer (als Jugendlicher) eines Mordes beschuldigt wird, der sollte sich keinesfalls noch verdächtiger machen, indem er schweigt, die Eltern hinzuzieht oder gar einen Strafverteidiger beauftragt. Der Vater, der sich „als Vater“ nicht bereit erklärt, gegen seinen Sohn auszusagen, bekommt prompt die Quittung, indem er von seinem Sohn zusammengeschlagen wird. In diesem Tatort kamen Strafverteidiger gar nicht vor. Aber dafür können die Strafverteidiger eigentlich dankbar sein, denn wenn sie im „Tatort“ vorkommen, dann üblicherweise als schmierige Rechtsverdreher, direkt aus dem Mafia-Klischee.

Eine junge Richterin, die (ganz zutreffend bei solchen Ermittlungen) auf rechtsstaatlichen Grundsätzen besteht, wird der Lächerlichkeit preisgegeben. Uns Zuschauern, die ja schon wissen, wie böse die Bösen wirklich sind, wird suggeriert, dass Rechtsvorschriften eigentlich nur die Ermittlungen der rechtschaffenen Polizisten (unseren Helden) behindern. Dass es auch darum gehen muss, durch rechtsstaatliche Ermittlungen überhaupt sicherzustellen, dass ein späterer Prozess zu einem gerechten Ergebnis kommt, ge-„schenkt“. Denn eigentlich müssten die Täter sowieso ganz ohne Gerichtsverhandlung für immer eingesperrt werden.

Der kaum versteckte Angriff auf Juristen und korrekt ermittelnde Polizisten mit dem Vorhalt, sie blickten nicht durch, sie seien realitätsfremd, sie seien opferfeindlich und täterfreundlich und sie behinderten die effektive Polizeiarbeit, wird noch übertroffen durch den Angriff auf das Jugendstrafrecht. Hier, im Jugendstrafrecht kulminieren die Vorwürfe gegen das Recht und die Juristen. Ohne Reflektion und offenbar schon im Wissen um das stereotype Vorurteil im Publikum genügt das Stichwort „Jugendstrafrecht“, um die entsprechenden negativen Emotionen abzurufen und festzuklopfen.

Nun wird  man einwenden: Ja, so wird nun einmal gedacht in der Polizei und in der Öffentlichkeit. Oder: Tatort ist nur ein Film, niemand im Publikum nimmt das Ernst. Und um spannend zu sein, könne man Ermittlungsarbeit und Strafprozess eben nicht realitätsgerecht abbilden. Aber muss dann gleich so klar Stellung gegen Recht und Gesetz bezogen werden?

Propaganda wirkt subtil – nicht nur in Dokumentarfilmen, sondern auch in Spielfilmen, gerade in den erzählerisch und technisch guten, in denen mit Emotionen vermischt zugleich vermeintlich zutreffende Informationen über die Wirklichkeit polizeilicher und strafprozessualer Ermittlungsarbeit verbreitet werden – vor einem Millionenpublikum. Die zuschauenden Juristen und Polizisten bekommen zugleich die Botschaft vermittelt: Ja, so wird in der Öffentlichkeit über uns gedacht – lass uns also demnächst emotionaler und rechtsfeindlicher ermitteln und entscheiden, dann werden wir auch anerkannt.

Das Ergebnis findet sich dann womöglich demnächst in Ihrer Polizeiwache und in Ihrem Gerichtssaal.

 

Zeit-Chef di Lorenzo behauptet, er habe zweimal gewählt. Wäre das strafbar?

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Aufsehen hat der Chefredakteur der "Zeit" damit erregt, dass er in der Jauch-Sendung behauptete, bei der Europawahl zweimal eine Stimme abgegeben zu haben (siehe hier). Dass dies nicht zulässig ist, ergibt sich aus § 6 Abs. 4 EUWG. Auch wer die Wahlberechtigung zu verschiedenen Teilkontingenten des Europaparlaments hat (entweder weil er Doppelstaatler ist oder aber, was der häufigere Fall ist, weil er als in Deutschland lebender Bürger eines anderen EU-Landes auch hier wahlberechtigt ist), darf nur einmal vom Wahlrecht Gebrauch machen. Dass Verstöße gegen diese Vorschrift kaum aufgedeckt werden können, war schon vorher bekannt (ausgerechnet  Zeit-Online berichtete darüber).

Wäre es aber auch strafbar?

Geht man von dem Sachverhalt aus, dass Herr di Lorenzo zunächst im italienischen Konsulat und sodann seine Stimme im deutschen Wahllokal abgegeben hat, stellt sich die Frage, ob er bei der zweiten Stimmabgabe  "unbefugt" im Sinne des § 107 a StGB gewählt hat. Die Wahlen der Abgeordneten des Europäischen Parlamants liegen im Geltungsbereich dieser Norm (§ 108 d StGB). Allerdings gilt dies nur für den deutschen Teilausschnitt, d.h. die Wahl der deutschen Europaabgeordneten. Es kommt also darauf an, ob die Stimmabgabe im deutschen Wahllokal wegen der zuvor schon erfolgten Stimmabgabe "unbefugt" gewesen ist. Dies führt zurück zu § 6 Abs.4 EUWG, in dem dieser Fall ausdrücklich geregelt ist:

(4) Das Wahlrecht darf nur einmal und nur persönlich ausgeübt werden. Das gilt auch für
Wahlberechtigte, die zugleich in einem anderen Mitgliedstaat der Europäischen
Union zum Europäischen Parlament wahlberechtigt sind.

Wenn Herr di Lorenzo also mit seiner Aussage nicht nur auf das Problem hinweisen wollte, sondern er sich  tatsächlich so verhalten hat, dürfte er den objektiven Tatbestand des § 107a StGB erfüllt haben.

Nach Diskussion im Kollegenkreis: Fraglich ist aber, ob er auch den subjektiven Tatbestand erfüllt hat. Wird "unbefugt" als normatives Tatbestandsmerkmal aufgefasst, ist der Irrtum, unbefugt zu wählen, ein Tatbestandsirrtum, der den Vorsatz ausschließt. Das ist wohl die überwiegende Auffassung. Meinte also Herr di Lorenzo, er wähle "befugt" zweimal (so jedenfalls der Eindruck derer, die die Sendung gesehen haben), dann hat er demnach nur (straflos) fahrlässig unbefugt gewählt - er wäre dann "nochmal davongekommen".

Nach anderer Auffassung genügt es für den Vorsatz schon, die Umstände, die die Unbefugtheit begründen, zu kennen. Das wäre hier wohl der Fall und nach dieser Auffassung wäre auch der subjektive Tatbestand zu bejahen. Ein bloßer Verbotsirrtum, der dann vorläge, ließe die Strafbarkeit nicht entfallen, denn dieser wäre wohl vermeidbar.

 

Die Stimmabgabe im italienischen Konsulat wäre übrigens auch dann nicht strafbar nach § 107 a StGB, wenn sie zeitlich nach der deutschen Stimmabgabe erfolgt wäre. Die §§ 107 ff. StGB schützen nicht die Wahl der italienischen Abgeordneten zum Europaparlament. Möglicherweise wäre dies aber vom italienischen Strafrecht erfasst. Mit der Frage der angeblichen "Exterritorialität" hat das Ganze nichts zu tun.

Diskussion auch hier im Lawblog

und bei Legal Tribune Online.

 

 

Elektronische Gerichtsakten?

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Der Bayerische Richterverein - ein Zusammenschluss von rd. 2400 bayerischen Richtern und Staatsanwälten hat in seiner jüngsten Stellungnahme auf Probleme mit der elektronischen Aktenführung hingewiesen, die in den nächsten Jahren landesweit eingeführt werden soll.

Über die Betroffenheit der Richter in ihrer täglichen Arbeit hinaus sind einige Punkte von allgemeinpolitischem Interesse:

Die elektronische Speicherung bietet nicht nur (arbeitsökonomische) Vorteile, sondern bringt auch Gefahren mit sich, für den Datenschutz sowie für die richterliche Unabhängigkeit. Während heute die Akten, soweit sie nicht mehr nur in Papierform vorgehalten werden, elektronisch vor Ort auf Servern des jeweiligen Gerichts gespeichert werden, sollen künftig die Justizakten in ganz Bayern zentral gespeichert und vorgehalten werden - bei den großen Rechenzentren des Bayerischen Landesamts für Steuern.

Der Richterverein zutreffend:

Insbesondere für die Fachgerichtsbarkeiten wie Verwaltungs-, Finanz- und Sozialgerichtsbarkeit bedeutet dies im Ergebnis, dass die Gerichtsakten vom Prozessgegner verwahrt werden.

Hinzu kommt, dass es in einem zentralen EDV-Netz Administratoren mit dem sogenannten Masterpasswort durch wenige Befehle und innerhalb kürzester Zeit möglich ist, Dokumente einzusehen, Informationen über deren Entstehungsprozess aufzuzeichnen (Meta-Ebene) sowie Dokumente zu kopieren und an Dritte weiterzuleiten. Derartige Administratoren sind nicht nur an der am Oberlandesgericht München eingerichteten Gemeinsamen IT-Stelle der Bayerischen Justiz (GIT) tätig, sondern auch in den von der Exekutive betriebenen Rechenzentren und sogar bei Privatunternehmen, den Firmen Unisys und IBM, beides Töchter US-amerikanischer Unternehmen.

Zudem werden zu den Aktenzeichen auch Entwürfe, Voten etc. gespeichert und auffindbar, die dem Beratungsgeheimnis unterliegen.

Die Sachbehandlung oder vorläufige Würdigung eines den Dienstherrn des Richters betreffenden Rechtsstreits - etwa auf den Gebieten der Staatshaftung oder der Finanzgerichtsbarkeit – oder eines Verfahrens, das Mitarbeiter der Exekutive privat betrifft, könnte ebenfalls von der Dienstaufsicht als Teil der Exekutive gezielt angesteuert werden.

Als Lösung fordert der Richterverein ein Gesetz, das die zentrale Speicherung von Gerichtsakten regelt und dabei den besonderen Schutzbedarf der Akten berücksichtigt.

Schon seit mehr als zehn Jahren wird in den Bundesländern diskutiert, geplant und programmiert, um die Aktenberge künftig abzubauen  und von Papier auf Bildschirmarbeit umzustellen. Es werden dazu etliche Millionen eingesetzt mit der vagen Aussicht auf eine künftig schnellere, effektivere (und billigere?) Verfahrensbearbeitung. Allerdings hat sich z.B. in Berlin herausgestellt, dass man dort nicht nur Flughäfen nicht bauen kann....

 

 

 

 

 

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